Septemberblut
Bildern von Frederik und sich als Kind, aus einer Zeit, in der sie noch glücklich gewesen waren. Sie floh vor den Bildern, floh die Treppe hinauf in den oberen Stock. Zwei Zimmer unter der Dachschräge bildeten ihr kleines Reich. Sobald Amber einen Fuß hineinsetzte, war es mit ihrer Stärke vorbei.
Mit brennenden Augen schaltete sie die Stereoanlage ein, wankte auf weichen Knien zu ihrem Bett und und ließ sich fallen.
Zuerst war da nur Schmerz und ein schrecklicher, dumpfer Druck in ihrem Hals, der einfach nicht nachließ. Sie bekam kaum Luft, ihr Körper wollte nur noch einatmen mit jämmerlichen, erstickten Lauten. Von all dem Sauerstoff schien nichts in ihren Lungen anzukommen. Alles tat weh.
Amber rollte sich zusammen wie ein kleines, verwundetes Tier und presste die Hände auf den Mund, um nicht laut zu schreien. Sie trauerte stumm und für sich allein, wie sie es immer getan hatte. Früher hatte sie sich manchmal von Frederik in den Arm nehmen lassen, aber er war nicht da und er würdeauch nie wieder kommen. Gegen ihren Willen zogen die letzten Jahre wie ein Film an ihr vorbei.
All der Streit, den es zwischen ihnen gegeben hatte, seitdem Frederik völlig verändert von einer Europareise zurückgekommen war. Sie hatten sich binnen Monaten auseinandergelebt, und so war es die ganzen letzten zwei Jahre geblieben. Frederik verkroch sich in der Welt seiner Fantasy-Spiele, und Amber versuchte sich einzureden, dass ihr Bruder nicht verrückt geworden war, sondern nur einen anderen Lebensstil pflegte. Einen, in dem er sich einbildete, ein Krieger oder so etwas zu sein, und gegen Untote kämpfte. Das erinnerte sie an etwas.
Amber war mit einem Schlag auf den Beinen. Vor nicht einmal drei Wochen hatte ihr Frederik einen Brief zukommen lassen. Hektisch durchwühlte Amber die Postablage auf ihrem Schreibtisch. Dann hielt sie den Umschlag in der Hand. Er war ungeöffnet. Sie wischte sich über die Augen und setzte sich. Auf der Rückseite stand in winziger, ordentlicher Druckschrift: Du wirst wissen, wann du ihn öffnen musst.
Amber schluckte.
Sie hatte den Brief für eine seiner Spinnereien gehalten.
Was, wenn es ein Hilferuf gewesen war? Was, wenn sie seinen Selbstmord hätte verhindern können?
Dafür war es jetzt zu spät. Ambers Finger zitterten, während sie den Umschlag aufriss. Sie zitterten noch mehr, als sie das Schriftstück auseinanderfaltete.
Liebe Schwester,
wenn du das liest, haben mich die Vampire aufgespürt und ich bin vermutlich tot oder wie sie. Meine Mission geht damit auf dich über, du musst sie jetzt bekämpfen. In den kommenden Tagen wirst du etwas von mir erhalten. Vertraue darauf. Trage es immer bei dir und höre auf seine Stimme. Es wird zu dir sprechen und dich auf den Pfad des Kriegers führen, wie es auch mich geleitet hat.
Hab acht, Schwesterlein, und nur Mut!
Frederik
»Ach verflucht, Freddy!«, schrie Amber wütend und knüllte den Brief zusammen. Die verdammten Computerspiele hatten ihrem Bruder den Verstand geraubt. Nicht einmal seinen Abschiedsbrief hatte er vernünftig geschrieben. Amber riss sich zusammen. Sie hob den Brief auf, strich ihn glatt und legte ihn unter ihr Kopfkissen, dann überließ sie sich wieder der Trauer.
Kapitel3
Nach einer Woche wurde Frederik Connans Leiche freigegeben.
Curtis’ Diener Robert hatte tagsüber Nachforschungen angestellt und mir eine Nachricht auf meiner Mailbox hinterlassen. Woher er die Information hatte, war mir gleich, doch ich wusste, dass die Herren der Vampirclans auf ein breites Netzwerk von Informanten zurückgreifen konnten.
Roberts Worte waren eindeutig. Jemand musste Zugang zu den Polizeiakten bekommen haben. Und darin stand, dass es in Frederiks Wohnung keine Anzeichen für einen Einbruch oder Kampf gegeben hatte. Die Obduktion war ebenso ergebnislos verlaufen. Die Deutung blieb bei Selbstmord.
In den vergangenen Tagen hatte ich versucht, etwas über Frederik herauszufinden. Ich war in seiner Wohnung gewesen und hatte sie erfolglos durchsucht, vom Messer fehlte jede Spur. Es gab weder Verstecke noch irgendwelche Hinweise.Doch noch gab es Hoffnung. Curtis hätte fühlen können, wenn die Kraft der mittelalterlichen Waffe wieder zugenommen hätte. Unser Feind Gordon hatte sie nicht bekommen, noch nicht. Mit dem Mord an Frederik hatten sie sich selbst ins Aus manövriert.
Jetzt galt es die Waffe und den Erben zu finden, und was war besser dazu geeignet als Frederiks Beerdigung? Jeder, der ihm nahegestanden hatte,
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