Septemberblut
Vogel über die Leiche strich und ihm dann die Kehle durchschnitt. Blut spritzte und tränkte die Nacht mit seinem Duft.
Dannwinkte der Hexer dem Vampir. »Meister, Meister, an meine Seite.«
Widerstrebend leistete Gordon der Anweisung Folge. Er hatte seit über zweihundert Jahren keinen Befehlen mehr gehorchen müssen, doch Gordon wusste, was jetzt nötig war. Das Ritual brauchte Blut, und kein anderes war so mächtig wie jenes, das in seinen eigenen Adern floss.
Er schob seinen Ärmel hoch und streckte dem Hexer unwillig das Handgelenk hin.
Der Voodoo-Zauberer ritzte ihn mit einem kleinen Messer, fing das Blut in einer goldenen Schale auf und ließ es dem Leichnam in den Mund laufen.
Dann verschwand die elektrisierende Magie, und das Ritual war beendet.
Der Tote schien unverändert.
Gordon versuchte seine Enttäuschung zu verbergen. »Und jetzt?«, fragte er und drückte den Schnitt in seiner Haut zusammen.
»Jetzt gehört Frederik Connan dir, Meister. Er wird in einigen Minuten erwachen.«
Der Vampir konnte es noch immer nicht ganz glauben. »Und dann ist er ein Zombie und tut alles, was ich sage?«
Das Gesicht des Hexers verzog sich missbilligend. »Er ist untot, kein Zombie. Er denkt und fühlt, aber sein Körper wird vergehen. Sobald er seine Aufgabe erfüllt hat, wird der Zerfall immer schneller voranschreiten. Ich kann den Prozess einige Wochen verzögern, aber nicht aufhalten.«
Der Voodoo-Priester gab ihm ein Amulett. »Hänge ihm das hier um, sobald er sich aufsetzt. Meine Aufgabe ist erfüllt.«
Gordon sah ihn ungläubig an. »Und wer beseitigt das alles hier?«
Die Helfer des Priesters schlugen bereits den Weg zum Parkplatzein, der Hexer selbst lächelte bösartig. »Du besitzt doch jetzt einen Untoten, Meister.«
In diesem Augenblick schlug Frederik Connan die Augen auf, sah den Vampir und schrie.
Kapitel5
»Keine Mutter sollte ihr Kind begraben müssen, das ist einfach nicht richtig!« Charly Connans Klage hallte von der stuckverzierten Decke des hohen Art-Deco-Zimmers wider.
Der Raum gehörte zum Büro eines Notars, zu dem Amber und ihre Mutter gerufen worden waren. Anscheinend hatte Frederik ein Testament hinterlassen.
Der Mann ließ sie warten.
Amber blickte unauffällig auf ihr Handy. Es war schon fast Viertel vor sieben. Mit einem mulmigen Gefühl dachte sie an ihre Verabredung mit dem Fremden vom Friedhof.
Seit Frederiks Tod war die bleierne Taubheit, die die Gedanken lähmte und den Körper schmerzen ließ, geblieben. Es war gut, sich hinter dieser schwammigen Wand verstecken zu können.
Amber hatte sich schon immer mit diesem Trick geschützt; früher, wenn sie in der Schule gehänselt worden war, und später auch auf der Arbeit, wenn sie Probleme hatte. Sie kapselte sich ab und lenkte ihre Gedanken auf etwas anderes.
Die Verabredung mit diesem Julius war ihr neuer Strohhalm, an den sie sich klammerte. Sie musste sich eingestehen, dass es diesem offensichtlich netten und zudem sehr attraktiven Mann gelungen war, eine Saite in ihr zum Klingen zu bringen. Sie erinnerte sich an den nahezu magischen Moment,als er ihr auf dem Parkplatz in die Augen geschaut hatte. Sein Blick hatte etwas tief in ihr angesprochen. Eine geheime Sehnsucht. Vielleicht war dieser Julius doch mehr als eine Ablenkung. Vielleicht. Ausreichend groß und schlank, mit halblangem braunen Haar und hellen Augen entsprach er zugegebenermaßen fast schon ihren Vorstellungen von »perfekt«.
Aber wenn der Anwalt sie noch lange warten lassen würde, konnte sie ihre Verabredung vergessen.
Als Amber erkannte, was sie da gerade gedacht hatte, presste sie mit aller Kraft ihren Rücken gegen die harte Lehne. Der Schmerz tat gut. Sie war wütend und sie schämte sich. Ihr Bruder lag erst einen Tag unter der Erde, und sie dachte an nichts anderes als eine Verabredung. Der Stuhl schnitt in ihren Rücken, und das half, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es ging um den letzten Willen ihres Bruders, und es würde so lange dauern, wie es dauerte.
Frederik hatte ihnen etwas mitzuteilen, was ihm wichtig gewesen war, und sie wollte es, verdammt noch mal, wissen!
Amber saß weiterhin steif und gerade, während ihre Mutter Charly zusammengesunken neben ihr hockte und sich Tränen von den Wangen wischte.
Amber wünschte sich weit weg von ihr. Immer wenn sie ihre Mutter weinen sah, fürchtete sie, dass auch ihre eigene Mauer brechen würde. Wenn dieser Damm riss, würde es kein Halten mehr geben, das wusste
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