Serafina - Das Königreich der Drachen - Wie alles begann ... (German Edition)
glauben, dass die Königin dies zulässt. Nach all den Opfern und Kämpfen, die wir auf uns genommen haben!«
»Ich bin überrascht, dass dich überhaupt noch etwas überraschen kann«, sagte sein jüngerer Begleiter und lächelte dabei bitter.
»Bei Sankt Masha, sie wird den Vertragsabschluss noch bereuen, Maurizio.«
»Fünfunddreißig Jahre ist das her und sie hat ihn bisher nicht bereut.«
»Die Königin ist wahnsinnig, wenn sie glaubt, Drachen könnten ihren Blutdurst bezwingen!«
»Entschuldigung«, sagte ich mit piepsiger Stimme, denn ich war es nicht gewohnt, Fremde anzusprechen. Derjenige, der Maurizio hieß, sah mich mit freundlich hochgezogenen Brauen an. »Warten wir auf Drachen?«
Der junge Mann lächelte. Er war auf eine strubbelig-schmuddelige Art recht hübsch. »Genau das tun wir, kleines Fräulein. Es ist die Fünfjahresprozession.« Als ich ihn verdutzt anschaute, erklärte er mir: »Alle fünf Jahre gestattet unsere hochwohlgeborene Königin –«
»Unsere geistesverwirrte Despotin!«, schrie der alte Mann dazwischen.
»Immer mit der Ruhe, Karal. Wie gesagt, unsere hochwohlgeborene Königin erlaubt den Drachen, innerhalb der Stadtmauern ihre natürliche Gestalt anzunehmen und in einer Prozession durch die Straßen zu ziehen, im Andenken an den Friedensschluss. Sie meint, wenn wir sie hin und wieder in ihrer ganzen schwefelumwölkten Monstrosität vor uns sehen, wird uns das die Angst vor ihnen nehmen. Wenn du mich fragst, ich glaube, es bewirkt eher das Gegenteil.«
Halb Lavondaville hatte sich auf dem Platz eingefunden, um sich erschrecken zu lassen. Nur die Alten erinnerten sich an die Zeiten, in denen Drachen ein gewohnter Anblick gewesen waren; als ein Schatten, der sich über die Sonne legte, ausgereicht hatte, dass einem das Entsetzen durch Mark und Bein fuhr. Diese Geschichten kannte jeder – wie ganze Dörfer niederbrannten und man zu Stein erstarrte, wenn man es gewagt hatte, einem Drachen ins Auge zu schauen, und wie mutig die Ritter angesichts dieser entsetzlichen Geschehnisse gewesen waren.
Die Ritter waren in die Verbannung geschickt worden, viele Jahre nachdem der Friedensschluss mit Comonot in Kraft getreten war. Nachdem sie nicht mehr gegen die Drachen kämpfen mussten, hatten sie nämlich begonnen, mit Goredds Nachbarn Streit anzufangen, mit Ninys und Samsam. Zwischen den drei Völkern kam es zu Scharmützeln und Grenzstreitigkeiten, die zwanzig Jahre andauerten, bis die Königin schließlich ein Machtwort sprach. Alle Ritterorden im Südland wurden aufgelöst – sogar die in Ninys und Samsam –, aber es hielten sich Gerüchte, dass die alten Recken nun in verborgenen Berghöhlen lebten oder tiefer im Landesinneren.
Ich blickte den alten Mann namens Karal von der Seite an. Nach allem, was er von Kriegen und Opfern erzählt hatte, fragte ich mich, ob er je gegen Drachen gekämpft hatte. Seinem Alter nach hätte es gut sein können.
Ein atemloses Raunen ging durch die Menge. An der Ecke mit den Geschäftshäusern tauchte ein geschupptes Ungeheuer auf, sein Rücken ragte bis zum zweiten Stock empor, seine Flügel hatte es ordentlich angelegt, damit es nicht die Kamine demolierte. Den geschwungenen Nacken hatte es nach unten gebeugt wie ein Hund, der seine Unterwürfigkeit zeigt, um nicht bedrohlich zu wirken.
Auf mich machte der Drache mit seinen flach angelegten Kopfstacheln tatsächlich einen harmlosen Eindruck, alle anderen schienen diese Geste jedoch falsch zu verstehen; entsetzt klammerten sie sich aneinander, machten das Zeichen Sankt Ogdos und murmelten hinter vorgehaltener Hand. Eine Frau in meiner Nähe fing an hysterisch zu kreischen – »Diese entsetzlichen Zähne!« –, bis ihr Mann sie wegbrachte.
Ich sah ihnen nach, wie sie in der Menge untertauchten. Gerne hätte ich sie beruhigt. Es war ein gutes Zeichen, wenn man die Zähne eines Drachen sah. Ein Drache, dessen Maul geschlossen war, würde viel eher einen Feuerstoß von sich geben. Das war doch sonnenklar.
Aber es gab mir auch zu denken. Alle um mich herum hatten beim Anblick der gebleckten Zähne aufgeschrien. Was mir offensichtlich schien, war ihnen schleierhaft.
Es waren insgesamt zwölf Drachen; Prinzessin Dionne und ihre kleine Tochter Glisselda bildeten mit ihrem Schlitten das Schlusslicht der Prozession. Unter dem weißen Winterhimmel sahen die Drachen irgendwie rostig aus, eine eher unscheinbare Farbe für solche Wunderwesen, aber nach einer Weile fiel mir auf, wie fein die
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