Serafinas später Sieg
Augen sah: Sie hatte Besitz von ihm ergriffen, und er wußte, daß sie ihn zerstören würde. Doch er war entschlossen, sich nicht kampflos zu ergeben. Er zwang sich, seiner üblichen Arbeit nachzugehen, Briefe zu schreiben, die Kontobücher zu führen und das Ausmaß seines Verlustes zu berechnen. Er würde das Haus, die Bediensteten und auch die kleineren Schiffe verlieren – alle Annehmlichkeiten seines so mühevoll aufgebauten Lügengebäudes –, aber er lebte weiter wie bisher, weil er nicht wußte, was er sonst tun sollte.
Als er eines Nachts aufwachte, dachte er darüber nach, ob sein Leben auch anders hätte verlaufen können. Nein – er hätte sich niemals mit dem kärglichen Dasein abfinden können, das ein Bastard üblicherweise zu fristen gezwungen war. Doch jetzt war er am Ende. Gefangen wie eine Ratte in einer Abfalltonne, aber im Unterschied zu dieser wußte er, daß er nicht ins Freie gelangen konnte, indem er im Kreis lief. Hin und wieder ertappte er sich dabei, es zu bedauern, nicht mit der Fiametta untergegangen zu sein.
Thomas segelte mit der Kingfisher an Mallorca und Sardinien vorbei. Sie machten gute Fahrt. Die meiste Zeit dachte er weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, sondern beschäftigte sich mit den Anforderungen der Gegenwart – dem Berechnen des Kurses, der optimalen Ausnutzung des Windes und der Ausschau nach anderen Schiffen. Einige Tage nach seiner Abreise aus Pisa sah er drei Galeonen vor sich und blieb zurück, als er sie erkannte: die Legacy , die Saviour of Bristol und die Garland. Sie waren auf dem Rückweg nach London, nachdem sie, von Scanderoon kommend, in Livorno angedockt hatten. Thomas beabsichtigte nicht, sich ihnen anzuschließen: Edward Whitlock war unberechenbar, es wäre durchaus möglich, daß er die Kingfisher unter Beschuß nahm, wenn sie sich näherte. Nein, die unausweichliche Konfrontation sollte lieber im kühlen, nüchternen England stattfinden als in der fiebrigen Atmosphäre des Mittelmeers. Und selbst dann würde Thomas John Keane bitten, dem Gespräch beizuwohnen.
Natürlich gab es hin und wieder Zeiten, in denen Thomas keine Aufgaben zu erfüllen hatte, und dann suchten ihn Bilder heim: Serafina in einem unscheinbaren grauen Kleid als Angestellte in Jacopo Caprianis Haus; Serafina kostbar gekleidet als Ehefrau Jacopo Caprianis beim Bankett der Merlis – stolz und zornig und mit seinem Kind unter dem Herzen; Serafina in seinen Armen. – diese Erinnerung war kaum zu ertragen; Serafina auf dem Weg von Valencia nach Marseille – mit gesenktem Kopf neben ihm gegen den Wind reitend.
Es war lange her, doch es schien ihm, als reite er noch immer gegen den Wind.
Seit dem Tod seiner Tochter Isabelle erschien Jules Crau das Leben sinnlos. Eines Tages stellte er fest, daß er sich nicht erinnern konnte, wie er die Zeit seit ihrer Bestattung in einem namenlosen Armengrab verbracht, ob er geschlafen, gegessen oder mit jemandem gesprochen hatte. Eines Nachmittags fand er sich auf dem Marktplatz wieder, ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen war. Eine Seite wurde von einem Haus beherrscht, das aussah, als sei es ganz aus Gold. Das Sonnenlicht ließ es so hell erstrahlen, daß es in den Augen schmerzte, doch er konnte den Blick nicht davon wenden. Es schien Jules, als verkörpere das Haus das Böse und verspotte ihn – und doch zog es ihn magisch an. Und plötzlich erwachte die Gewißheit in ihm, daß er heute noch begreifen würde, warum er noch immer lebte.
Irgendwann sprach ihn jemand an. Jules erkannte den Mann als einen der Bettler vom Place des Miracles, aber er sagte nichts: Er durfte nicht, die Stimmen hatten ihm verboten zu sprechen. So verzerrte er das Gesicht nur zu einem Grinsen, und der Mann entfernte sich.
Es war ein schwüler Tag. Schweiß lief an Jules' Körper hinunter, doch er spürte es nicht. Sein Freund kam zurück. Er brachte andere Bettler mit. Jules stand noch immer auf demselben Fleck und starrte zu dem Haus hinüber. Es schien sich zu bewegen und zu wachsen, bis es den ganzen Himmel ausfüllte. Schließlich öffnete sich die Tür. Jules blinzelte. Ein Mann kam die Treppe herunter und bog in den schmalen Durchgang neben dem Haus ein. Der Mann war ganz in Rot gekleidet. Das ist der Teufel, sagten die Stimmen. Rot ist die Farbe des Teufels. Jules folgte ihm. Die anderen Bettler drängten nach. Auf halbem Weg durch die Gasse drehte der Mann sich um, offenbar hatte er gemerkt, daß er verfolgt wurde. Sein Haar leuchtete
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