Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
golden im Sonnenlicht, und er war jung und schön. Das ist Luzifer, raunten die Stimmen in Jules' Kopf. Und plötzlich erinnerte er sich, daß er diesen Mann kannte: Lucifer hatte die Gestalt eines Kaufmanns angenommen. Die Kaufleute waren verantwortlich für das Elend der Armen – Charles de Casaulx oder der König der Bettler hatte das gesagt –, und im letzten Sommer hatte dieser Kaufmann ihm, Jules Crau, einen Knopf gegeben. Einen Knopf aus Horn.
    Und jetzt verstand Jules, weshalb er hatte am Leben bleiben müssen, obwohl alle, die er liebte, tot waren: Er war dazu ausersehen, die Stadt von dem Bösen zu befreien, das in Gestalt dieses Mannes aus dem goldenen Haus gekommen war. Ein unmenschliches Heulen – geboren aus Hunger, Kummer und Wut – stieg aus seiner Kehle auf und hallte schaurig durch die enge Gase. Die Bettler hinter ihm übernahmen es als Schlachtruf. Auf einmal fühlte er sich stark und stürzte sich auf den Kaufmann, bevor dieser Zeit hatte, seinen Degen zu ziehen. Jules' Waffen waren seine Fäuste und Füße, und mit ihnen attackierte er den Feind in einem wahren Trommelfeuer. Die nachdrängenden zerlumpten Männer vereinigten sich zu einem Wesen. Schmutzige Hände rissen den juwelenbesetzten Degen aus der Scheide. Mit Stichen, Hieben und Schnitten verstümmelten sie den Mann bis zur Unkenntlichkeit. Danach stürmten sie sein Haus. Sie zerschlugen die Fensterscheiben, zerschnitten die Gemälde, Teppiche und Gobelins, plünderten die Speisekammern und feierten Gelage, bis ihre geschrumpften Mägen alles wieder von sich gaben.
    Und dann kam die Miliz. Einige der Bettler konnten fliehen, die anderen wurden niedergemetzelt. Schließlich war alles wieder still. Mondlicht fiel in den Durchgang neben dem goldenen Haus. Rote Seidenfetzen lagen auf dem Kopfsteinpflaster. Sie sahen aus wie die Mohnblumen in den Hügeln hinter Marseille.
    In den Wochen nach Thomas' Abreise aus Pisa begannen die Feindseligkeiten gegen Serafina erschreckende Formen anzunehmen: Es fing mit einem Wort an, das mit schwarzer Farbe auf ihre Türschwelle geschmiert wurde: »Hure«. Sie befahl einem der Dienstmädchen, es wegzuputzen. Am liebsten hätte sie es selbst getan und ihre ohnmächtige Wut an den unschuldigen Buchstaben ausgelassen, doch sie wollte etwaigen Zuschauern kein derart erniedrigendes Schauspiel bieten. Zwei Tage später stand wieder ein Wort dort – und diesmal empfand Serafina eher Furcht als Zorn, als das Dienstmädchen es ihr zeigte: »Bastard« stand da, und sie dachte an den blauäugigen Francesco, der oben im Haus mit Maria spielte. Sie mußte sich am Türrahmen festhalten, weil ihr schwindlig wurde, und schaute links und rechts die Straße hinunter. Plötzlich erschien ihr das Haus baufällig wie eine Holzhütte, die jeden Windstoß fürchten mußte. Von nun an ließ sie nachts in der Halle Kerzen brennen und einen Diener Wache halten.
    Die Dinge änderten sich, aber nicht zum Besseren. Es war Hochsommer, und Pisa brütete in der Hitze. Fliegenschwärme und üble Luft kamen aus den Sümpfen herüber. Als Serafina eines Tages allein vom Lagerhaus nach Hause ging, wurde sie von hinten angespuckt, doch als sie herumfuhr, hörte sie nur noch Gelächter und das Klappern davoneilender Schritte. Sie hetzte nach Hause, riß sich das besudelte Kleid vom Leib, warf es zu Boden, trampelte darauf herum und schrubbte sich anschließend von oben bis unten, bis ihre Haut wie Feuer brannte.
    Sie war gerade dabei, sich frische Sachen anzuziehen, als Maria hereinkam. In den sonst so heiteren Augen standen Tränen. »Mama sagt, Signor Merli sagt, Sie hätten Ihren Mann vergiftet. Das ist doch eine Lüge, oder nicht?«
    Der nächste Schlag! Serafina atmete tief durch. »Ja – das ist eine Lüge.« Sie hatte gelogen und betrogen, aber nicht gemordet. Das war der Unterschied zwischen ihr und Angelo, dem sie ansonsten so ähnlich war.
    Sie schrieb einen Brief an Constanza, die derzeit in Lucca weilte, und an William Williams, der nicht mit der Kingfisher gesegelt, sondern in Livorno war. Nachts wachte sie immer wieder auf, weil sie glaubte, Stimmen vor ihrer Tür und Schritte auf dem Flur zu hören. Endlich hatte sie erkannt, was ihr im Leben wirklich etwas bedeutete, und nun wurde es ihr durch die Mißgunst der Leute zur Hölle gemacht. Wenn sie durch die Straßen, über die Marktplätze oder die Docks ging, zischten Passanten: »Hure!«, »Hexe!«, »Mörderin!«
    Als eines Morgens Marias Katze mit durchschnittener Kehle

Weitere Kostenlose Bücher