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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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dazu, ihm nicht den Koffer abzunehmen. Vom Altersunterschied her wäre es zwar angemessen gewesen, doch hatte ich Angst, er würde die Geste falsch auffassen, nämlich als eingefleischte Beflissenheit einer muslimischen Frau. Außerdem machte der Mann für sein Alter einen äußerst rüstigen Eindruck. Sein Gang war vollkommen aufrecht.
    Süleyman aber ließ es sich nicht nehmen, auf den Professor zuzustürzen und ihm den Koffer abzunehmen.
    »Welcooome, welcoome« , rief er mit starkem türkischem Akzent.
    Draußen setzte der Professor seinen Hut wieder auf und band sich einen Kaschmir-Schal um.
    »Nicht dass ich besonders anfällig wäre«, sagte er, »aber um diese Jahreszeit ist es ganz schön kalt in Istanbul.«
    »Schön, dass Sie gewappnet sind. Manche unserer Gäste denken sich: Naher Osten, da brauche ich nur Sommerkleidung.«
    Er schmunzelte.
    »Ich kenne Istanbul. Und gefroren habe ich hier genug.«
    Ob es mir nur jetzt in meinem bequemen Flugzeugsessel so vorkommt oder ob es mir schon damals aufgefallen ist, jedenfalls meine ich mich zu erinnern, in sein Lächeln hätte sich damals so etwas wie Kummer gemischt.
    Als Süleyman ihm die Autotür aufhielt, sagte der Professor: »Oh, old man, old car!«
    Wir lachten, doch der Anflug von Kummer im Gesicht desProfessors verlor sich dabei nicht. Unterwegs sah er müde zum Fenster hinaus, und dennoch erlebte ich ihn ungeheuer präsent. Ich wusste nicht recht, ob ich nun eher Achtung für ihn empfand oder Zuneigung, doch gewiss war, dass er sich von den üblichen Gästen deutlich abhob.
    »Wann waren Sie denn schon mal hier?«, fragte ich.
    »1939 bis 1942.«
    »Oh, das ist aber schon lange her. Da muss Ihnen alles sehr verändert vorkommen.«
    »Und ob. Hier waren viel weniger Autos damals, und viel weniger Häuser. Und Autobahnen gab es auch noch keine.«
    Wir verfielen daraufhin in ein Schweigen, auf das Süleyman sich keinen Reim machen konnte. Immer wieder spähte er in den Rückspiegel.
    Auch in dieser Richtung war die Autobahn verstopft, doch waren wir wieder in rascher Fahrt auf dem Standstreifen unterwegs.
    »Könnten Sie bitte die Heizung etwas herunterdrehen?«
    Erst als der Professor darum bat, merkte ich, wie heiß es im Auto mittlerweile war. Ich war ihm beim Ablegen des grauen Schals und des schwarzen Mantels behilflich. Darunter kamen ein Samtjackett mit Ärmelschonern und ein weißes Hemd mit spitzem Kragen zum Vorschein.
    »Spüren Sie den Jetlag, Mr. Wagner?«
    Kaum hatte ich das gesagt, kam mir die Frage auch schon unsäglich dumm vor. Wie sollte er den Jetlag nicht spüren, in dem Alter.
    »Nein, noch nicht, aber heute Nacht ganz bestimmt.«
    »Heute Abend steht nichts auf dem Programm für Sie. Wir bringen Sie direkt ins Hotel, dann können Sie sich bis morgen früh ausruhen.«
    »Wo bin ich denn untergebracht?«
    »Im Pera Palace .«
    Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen.
    »Das freut mich aber.«
    »Warum denn?«
    »Weil ich das Hotel kenne. Ich habe schon mal drin gewohnt.«
    »Es stammt aus dem Jahr 1895. Agatha Christie soll darin einen Roman geschrieben haben.«
    »Ein Glück, dass es noch nicht abgerissen wurde. Ich habe gelesen, dass das in Istanbul mit vielen alten Gebäuden geschieht.«
    »Das Pera Palace hat sich halten können. Sind Sie seit damals nie wieder hier gewesen?«
    »Nein, nie wieder.«
    »Das ist ja dann … neunundfünfzig Jahre her.«
    Der Professor erwiderte darauf nichts. Das plötzliche Schweigen im Auto war mir unangenehm.
    »In welchem Viertel haben Sie damals gewohnt?«, fragte ich deshalb.
    »In Beyazıt. Um nah an der Universität zu sein.«
    »Können Sie Türkisch?«
    Er lächelte und antwortete auf Türkisch: »Ein bisschen. Ganz wenig.« Nach einer Pause sprach er auf Englisch weiter. »Als ich damals hier Unterricht gab, konnte ich einigermaßen Türkisch. Aber ich habe alles vergessen. Nach Istanbul habe ich nie wieder mit jemandem Türkisch gesprochen.«
    »Sie werden bestimmt Ihre Erinnerungen auffrischen. Und Ihr Türkisch gleich mit.«
    Sein Gesicht verfinsterte sich.
    Je näher wir ins Zentrum kamen, umso dichter wurde der Abendverkehr. Ein Wald aus lauter Autos, der reine Wahnsinn. Missmutig dachte ich darüber nach, wie ich wohl nach Hause kommen sollte, wenn der Professor erst mal im Hotel war. Taxis waren an Regentagen ja nicht zu bekommen. Da rauschten sie an einem vorbei, wie aus Rache dafür, dass man an normalen Tagen nicht damit fuhr. Mit dem Sammeltaxi wiederum würde ich mindestens

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