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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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sich schlagartig vermehrt? Schon komisch. Obwohl, hätten die Kerle ein anderes Auto gefahren, von einer anderen Farbe, dann hätte ich wohl davon so viele gesehen. Oft genug kam es mir ja auch so vor, als ob der Großteil der Männer ganz einfach abstoßend sei, aber das musste doch eher an mir liegen als an der Realität, oder? Und wenn ich mal einen gutaussehend und vertrauenswürdig fand, dann … Aber Moment mal, ob einer gut aussah oder nicht, das hing doch nicht bloß davon ab, wie mir gerade zumute war? Oder etwa doch? Inwiefern sollte ich meinen Gedanken dann überhaupt noch trauen können?
    Endlich waren wir da. Ich raffte mich aus dem bequemen Autositz hoch. Matt und schläfrig bedankte ich mich bei Süleyman. Sogar der Regen machte mir nichts mehr aus. An der Haustür sah ich auf die Uhr: Es war schon nach neun. Kerem musste sich Sorgen machen. Ach was, Sorgen. Er hatte wohl nicht einmal gemerkt, dass ich noch nicht da war. Nun würde ich mit dem Aufzug in den vierten Stock hochfahren, die Wohnung mit der Nummer neun aufsperren, aus Kerems Zimmer einen schwachen Lichtschein sehen und mir im Gang die Schuhe und den nassen Mantel ausziehen. Durch die dünnen Türen würden aus den Nachbarwohnungen gedämpfte Töne der Fernseher zu hören sein, Frauengelächter, das Weinen eines Kindes. Aus dem Treppenhaus würde ich noch allerlei Essensgerüche in der Nase haben. Ich würde im Wohnzimmer das Licht anmachen und dann in Kerems Zimmer gehen und meinen Sohn in buckliger Haltung vor dem Computer vorfinden.
    »Na, Kerem, wie geht’s?«, würde ich fragen.
    Ohne mich anzusehen, würde er murmeln: »Gut.«
    Dann würde ich in die Küche gehen, im Kühlschrank Pizzareste finden, sie aufwärmen und sie meinem Sohn zusammen mit einer Cola neben den Schreibtisch stellen. Danach würde ich ins Bad gehen und unter der Dusche noch einmal den vergangenen Tag überdenken. Im Bademantel und mit nassen Haaren würde ich mir dann ein Käsesandwich machen und mich vor den Fernsehersetzen. Kauend würde ich die Nachrichten über mich ergehen lassen, die Wirtschaftskrise, zankende Politiker, zappelnde Sänger, die Verbrechen des Tages. Vor dem Schlafengehen würde ich auf der Suche nach einem Film die Kanäle durchgehen.
    Dann würde ich zu Kerem hinüberrufen »Geh endlich ins Bett!«, wohl wissend, dass er das nicht tun würde, doch ich selber würde mir noch schnell die Haare trockenreiben und mich schlafen legen. Und kaum würde ich im Bett die Augen schließen, da würde ich auch schon in einem anderen Leben, einer anderen Welt sein, und würde nicht mehr Maya sein, sondern irgendjemand anders, mal ein verliebtes junges Mädchen, mal eine Demonstrantin, mal eine Abenteurerin …
    Ich würde Emily Dickinsons Gedicht There is another sky , das ich einst beim Literaturstudium für mich entdeckt hatte, wie jeden Tag als eine Art Nachtgebet vor mich hinsagen und mir dabei einen anderen Himmel wünschen.
    Und genauso, wie ich mir das alles beim Aussteigen aus dem Auto vorgestellt hatte, geschah es dann auch, und mit dem Handtuch auf dem Kopf legte ich mich ins Bett. Kurz vor dem Einschlafen aber merkte ich, wie sehr der Professor mich beeindruckt hatte, und dass ich mich freute, ihn am nächsten Tag wiederzusehen.
    Ein paar Stunden später allerdings riss mich ein ganz anderer Gedanke aus dem Schlaf, nämlich die Frage, was ich nur mit meinem Sohn anfangen sollte. Erzog ich ihn falsch, oder waren einfach alle Kinder so? Ich hatte von einem automatischen Abschaltprogramm gelesen, für Jugendliche, die es nicht schafften, ihren Computer mal auszumachen. Kerem redete nicht mit mir. Aber auch mit sonst niemandem. Kommunikation lief bei ihm nur über das Internet ab.
    Mit Müh und Not hatte ich ihn überreden können, einen Psychologen aufzusuchen, der bei Kerem dann eine Art »Lebensangst« diagnostiziert hatte.
    Mit offenen Augen lag ich da. Ein paar Tage zuvor hatte ich zugegebenermaßen etwas hinter Kerems Rücken getan. Er verbrachte ausnahmsweise einen Sonntag bei seinem Vater, und daschaltete ich seinen Computer ein, um zu sehen, was er dort so trieb. Ich stieß auf eine entsetzliche Welt. Es war nicht zu fassen, zu wie vielen Pornofilmen ein in der Pubertät steckender Junge über das Internet Zugang hatte. Und noch dazu waren es Filme, in denen Frauen durchwegs erniedrigt und versklavt wurden.
    Die Frauen mussten die fürchterlichsten Dinge über sich ergehen lassen. Sie wurden ausgepeitscht, gewürgt, gefesselt, gequält und

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