Serenade für Nadja
klang so, als verberge sich hinter diesen Worten ein tiefer Schmerz. Ich erwiderte jedoch nichts, da der Professor eher mit sich selbst zu sprechen schien. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Sie betrügt einen ständig, und doch hört man nicht auf, sie zu lieben.«
»Hat Istanbul Sie betrogen?«, fragte ich nun doch.
Er antwortete nicht, und erst nach einer Weile sagte er: »Es ist eine wunderschöne Stadt. Die Byzantiner, die Osmanen, die Paläste, die Moscheen … Es ist eine märchenhafte Stadt, eine Stadt … wie soll ich sagen … voller Aromen.«
»Das ist aber nur das Istanbul, das die Touristen sehen, Herr Professor. Mein Istanbul ist ganz anders. Ich habe nämlich keine Zeit für all diese Schönheit.«
»Ich war ja auch nicht als Tourist hier. Ich habe zwei Jahre lang hier gearbeitet.«
»Das war aber eine andere Zeit damals, in der das Leben noch leichter war.«
Er drehte sich zu mir um.
»Jede Zeit hat ihre eigenen Schwierigkeiten, aber mit Kriegszeiten lässt sich nichts vergleichen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie nie einen Krieg kennenlernen.«
»İnşallah!«
»İnşallah«, wiederholte er lachend.
Mir fiel auf, dass er sich immer öfter umdrehte. Hatte er auch das Gefühl, dass wir verfolgt wurden? Ich drehte mich auch manchmal um, doch in dem dichten Verkehr war nichts Besonderes zu erkennen.
»Falls wir Zeit dazu haben, würde ich gerne kurz aussteigen«, sagte der Professor.
Selbst wenn wir keine Zeit gehabt hätten, hätte ich ihm diese Bitte nicht abschlagen können.
Wir stiegen also vor dem geschichtsträchtigen Eingangstor zur Universität aus und betrachteten den Beyazıt-Turm, der zu osmanischen Zeiten als Feuerwache gedient hatte.
»Herrlich. Als wäre die Zeit stehengeblieben«, sagte er mit kaum wahrnehmbarer Stimme.
Mir war, als ob ich jene Gebäude zum ersten Mal so richtig sähe. Das Universitätstor mit seinen goldenen Schriftzügen war wirklich ein majestätischer Anblick.
»Apropos Krieg«, sagte ich, »das Gebäude ist eine Zeitlang als osmanisches Kriegsministerium genutzt worden.«
»Tja, Universitäten haben auch etwas von Schlachtfeldern an sich.«
Da der Professor noch etwas herumgehen wollte, schickten wir Süleyman fort und betraten das Universitätsgelände zu Fuß. Durch den weitläufigen Park, in dem es von Studenten wimmelte, gingen wir auf das Rektoratsgebäude zu. Inmitten all des lebhaften Treibens strahlte der Professor große Ruhe aus.
»Wozu waren eigentlich Polizisten am Eingang?«, fragte er.
»Die schützen seit Jahren die Universität vor den Studenten.«
Verdutzt sah er mich an. Ich merkte, dass das nicht der Moment für ironische Sticheleien war.
»In letzter Zeit sind die Polizisten vor allem wegen der Studentinnen da, die ein Kopftuch tragen. Mit dem dürfen sie nämlich nicht in die Universität.«
Der Professor hob die Hand. Nach einer Weile fragte er: »Und was machen diese Studentinnen dann?«
»Manche nehmen vor der Uni das Kopftuch ab und setzen sich eine Mütze auf, andere ziehen sich eine Perücke über, und wieder andere hören auf zu studieren.«
»Zu meiner Zeit gab es solche Probleme nicht. Da trugen Studentinnen sowieso kein Kopftuch.«
»Wie gesagt, Herr Professor, die Türkei hat sich verändert.«
Der Rektor stand schon am Eingang, um seinen Gast zu empfangen. Da er in Deutschland studiert hatte, unterhielten die beiden sich auf Deutsch, und ich ließ sie bald alleine.
Bevor ich mich in meinem Büro in die Arbeit stürzte, machte ich mein Handy an und fand eine Nachricht von Tarık vor: »What’s up, honey?« Wie viele Leute, besonders aus der besseren Gesellschaft, warf auch er gern mit englischen Phrasen um sich. Ich rief ihn an.
»Na, wie ist er denn so, dein Alter?«, fragte er.
»Höflich und elegant ist er. Und gut aussehen tut er auch noch.«
»Schau einer an, stehst du jetzt auf Achtzigjährige?«
»So war das nicht gemeint, das weißt du genau.«
»Man wird ja noch einen Witz machen dürfen. Wie oft muss ich dir sagen, dass du das Leben nicht so ernst nehmen sollst?«
»Mein Leben besteht aber aus lauter ernsten Problemen.«
»Ach was, sei doch mal ein bisschen locker.Sehen wir uns heute Abend?«
»Glaube ich nicht.«
»Und warum nicht?«
»Solange der Professor hier ist, werde ich mich um ihn kümmern müssen.«
»Na, wie du meinst. Übrigens, bald gibt es gute Nachrichten für dich.«
»Was für Nachrichten?«
»Du wirst zu Geld kommen.«
Das hörte sich gar nicht gut an. Weil es
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