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Serum

Serum

Titel: Serum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Reiss
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konnte. Die »junge Wilde«, hatte die Post sie genannt.
    »Sie haben seit über einem Jahr nicht miteinander gesprochen.«
    »Arztbesuche? Gesundheitsprobleme?«
    »Soweit ich weiß, war er kerngesund«, sagte sie, und ihre Stimme brach.
    Sie nahm mir das Versprechen ab, sie auf dem Laufenden zu halten. Kim Pendergraph wusste mehr von Dwyer als jeder andere, aber so richtig hatte ihn eben keiner gekannt. Er gab nicht viel von sich preis. Wieder schweiften meine Gedanken ab zu unserem Gespräch am Tag meiner Einstellung.
    »Einen kleinen Gefallen noch«, hatte er gesagt, als ich mich schon zum Gehen wandte. Trotz seiner starken Persönlichkeit, die ihm den Spitznamen »General Dwyer« eingetragen hatte, wirkte er körperlich unscheinbar. Er war kahlköpfig, rundlich und trug eine randlose Brille. Seine unauffällige Erscheinung betonte er noch durch formlose graue Anzüge aus feinster schottischer Wolle. Seine ganze Autorität strahlte von den graugrünen Augen und der ruhigen Stimme aus. Ich hatte mich über ihn erkundigt und wusste, dass er in dem Ruf stand, unnachgiebig gegenüber Feinden und großzügig zu Freunden zu sein. Er war mit der Firma verheiratet, politisch im rechten Flügel aktiv und hatte seine Karriere als Unternehmer im Alter von fünf Jahren auf dem Schoß seines Vaters begonnen, des früheren Aufsichtsratsvorsitzenden. Ich wusste, dass er vor ein paar Jahren den Knochenkrebs besiegt und den Tod seiner Frau überlebt hatte. Ich wusste, dass seine Tochter nicht mehr mit ihm sprach. Und ich wusste, dass solche Schicksalsschläge manche Menschen dazu brachten, über die Sterblichkeit und das eigene Vermächtnis nachzugrübeln, aber nicht, ob Dwyer dazugehörte.
    »Jetzt, wo Sie einer von uns sind, Mr Acela, könnten Sie sich vielleicht mit unseren Anwälten zusammensetzen und sie beraten, was von Liebenthal zu erwarten ist«, meinte er. Liebenthal war der Jurist, der die Taskforce des Justizministeriums gegen Steuerbetrug leitete und damals wegen überhöhter Arzneimittelpreise für Medicare-Patienten ermittelte. »Hat er uns im Visier?«
    »Ich bin beim FBI, nicht beim Justizministerium«, sagte ich mit plötzlichem Zorn, als ich begriff, warum man mir den Job angeboten hatte.
    Dwyer hatte genickt. »Aber es gibt doch gewiss eine Art Zusammenarbeit zwischen dem FBI und dem Ministerium. Vielleicht könnten Sie ein, zwei Anrufe tätigen, natürlich inoffiziell. Sozusagen als persönlichen Gefallen.«
    Ich erklärte wütend, dass er sich jemand anders suchen sollte. Dass wir uns wohl missverstanden hätten. Ich besäße keinerlei Informationen über die Nachforschungen der Taskforce und würde mich auch nicht danach erkundigen. Im Gegenteil, hätte ich von Ermittlungen gegen Lenox gewusst, wäre ich nie hierhergekommen, sagte ich.
    Ich riss die Tür auf, aber Dwyer rief mich zurück. Zunächst war ich erstaunt, Erleichterung in seiner Miene zu lesen. Ich kannte ihn noch nicht gut genug. »Verzeihen Sie den unfeinen Test, Mr Acela«, bat er. »Wenn Sie auf das Angebot eingegangen wären, hätte ich Sie niemals eingestellt. Ein Mann, der seinen früheren Chef hintergeht, wird das meiner Erfahrung nach auch mit seinem neuen Boss machen.«
    Wie sich herausstellte, interessierte sich die Taskforce überhaupt nicht für Lenox.
    Inzwischen zeigte die Uhr 04:51, und der Verkehr wurde langsam dichter. Die meisten Fahrer saßen allein im Wagen, genau wie ich. Die Überehrgeizigen und die Überängstlichen auf dem Weg ins Büro. Ein paar gelbe Taxis waren auch unterwegs. Obdachlose dösten in Hauseingängen.
    Ich bog auf die 57th Street ab und fuhr weiter, bis mich ein Stau aufhielt und daran erinnerte, dass ich kein Staatsdiener mehr war. Früher hätte ich einfach das Blaulicht aufs Dach gesetzt und mich durchwinken lassen.
    Mit einem Anflug von Wehmut bog ich in das unterirdische Parkhaus neben dem Haus des Vorsitzenden ab, wo er einen Dauerparkplatz für Gäste besaß.
    Aguinaldo öffnete mir. Er trug eine Schürze und hielt ein Glas Pepsi mit unsicherer Hand.
    »Im ersten Stock«, sagte er.
    Während ich die geschwungene, mit Teppich ausgelegte Treppe hinaufstieg, vorbei an Fotos, die den Vorsitzenden zusammen mit prominenten Freunden zeigten – dem Leiter der Metropolitan Opera, dem Direktor der NSA, dem Besitzer der New York Yankees –, hätte ich mir nicht träumen lassen, welche Tragweite die Ereignisse entwickeln sollten, die in dieser heißen Julinacht hier ihren Anfang genommen hatten.
    Ich wusste

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