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Serum

Serum

Titel: Serum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Reiss
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verständigt hatte, konnte mich den Job kosten. Zur Schadensbegrenzung rief ich die PR-Abteilung an. Ich erreichte Sheila Oswald-Starke, unsere PR-Vizepräsidentin. Sie war schlank wie ein Model, eine umwerfende Brünette, 31 Jahre alt. Ich war ein paarmal mit ihr ausgegangen. Sie war eine dieser Frauen, die absolut alles – Schönheit und Intelligenz, Charme und oberflächliche Freundlichkeit – in einen überwältigenden ersten Eindruck investieren. Die Wahrheit entdeckt man erst später. Wir waren ohne Reue auseinandergegangen. »Ich hoffe, du hast die Polizei noch nicht alarmiert, Michael.«
    »Ich rufe sie jetzt gleich an.«
    »Nein, du wartest, bis ich da bin«, schnappte sie. »Du hättest mir sofort Bescheid sagen sollen. Ich muss meine Leute zusammentrommeln. Sobald die Polizei erfährt, was geschehen ist, geht es auch an die Presse. Bist du sicher, dass es Selbstmord war?«
    »Ich bin sicher, dass er tot ist.«
    »In seinem Abschiedsbrief stand nichts von mir, oder?«
    »Von dir?«
    »Es war nur ein einziges Mal, Mike«, sagte sie kühl, als wäre Dwyer noch am Leben und wir plauderten in irgendeiner Bar über ihr Sexleben. »Und das ist zwei Monate her. Außerdem, du hast doch auch was mit seiner Sekretärin, oder?«
    »Sie heißt Kim, und ich ›habe‹ nichts mit ihr.« Alle in der Firma nahmen an, dass Kim und ich miteinander ins Bett gingen. »Ich mag sie.«
    »Bei unsereinem heißt ›jemanden zu mögen‹, dass man zwei Monate zusammenbleibt statt nur einen.«
    Sheila neigte dazu, alle Welt nach sich selbst zu beurteilen. Ich legte auf. Dwyers tote Augen starrten mich aus einem der beiden großen Wandspiegel des Raumes an, einem antiken, zusammenpassenden Set aus Kiew. Alles, was zwischen den Spiegeln lag, vervielfältigte sich darin wie in einem Escher-Gemälde – die Porträts, der Eiskühler, die alte Schiffsuhr von einem russischen Walfänger –, immer kleiner werdend, ein Gleichnis für die Unendlichkeit des Todes.
    Unten klingelte Danny, frisch rasiert, in einem zerknitterten, karierten Sommerjackett, das sich über seinem breiten Brustkorb spannte. Er schwitzte nicht, aber bei dieser Hitze hob sich seine Narbe besonders weiß von der dunklen Haut ab. Eine seltsam unpassend wirkende, starke Brille vergrößerte die bronzefarbene Iris seiner Augen. Für einen Mann seiner Größe bewegte er sich ausgesprochen geschmeidig. Beim letzten Firmenpicknick von Dwyer zum 4. Juli hatte er den Sprint über 200 Yards in der Klasse über 50 gewonnen.
    »Wie hast du es so schnell geschafft?«, fragte ich.
    »Dreitausend Jahre Familienerfahrung beim Aufstehen vor Sonnenaufgang.«
    »Nimm dir den ersten Stock vor. Wenn du etwas findest, ruf mich.«
    »Was dagegen, mir zu sagen, wonach wir suchen?«
    »Alles, was nicht zu passen scheint.«
    Ich übernahm Dwyers Schlaf- und Badezimmer. Natürlich war mir klar, dass Danny recht hatte und wir die Cops rufen sollten. Aber in jener Nacht, als mein Leben ohne mein Wissen an einem Wendepunkt stand, war mir ebenfalls klar, dass der Vorsitzende meine Loyalität richtig eingeschätzt hatte. Meine Treue gehörte zu gleichen Teilen der Firma und jenen Prinzipien, denen ich mich vor fünfundzwanzig Jahren als idealistischer FBI-Anfänger verschrieben hatte.
    Natürlich hatte ich mich verändert, wie viele Leute um mich herum: die Reporter, die hochbezahlte Jobs im PR-Bereich angenommen hatten, die Ärzte, die in Armenkliniken angefangen hatten und jetzt nur noch Privatpatienten annahmen, die Anwälte, die für die Gerechtigkeit gefochten hatten und jetzt mit gleicher Inbrunst nach Steuerschlupflöchern für ihre reichen Klienten suchten.
    Wir gaben dieser Entwicklung hübsche Namen, nannten unsere Desillusionierung Realismus. Wir waren die Zyniker, die auf Partys als Letzte gingen.
    Im Badezimmer stieß ich auf das Arzneimittelfläschchen.
    Beinahe hätte ich es übersehen. Es stand im obersten Regal, hinter dem Rasierapparat, einem Fläschchen Cipro-Antibiotika und einer Tube Sonnencreme.
    Aber das Etikett dieses Fläschchens war handbeschriftet, nicht gedruckt. Es stammte nicht aus einer Apotheke. Mit blauem Filzstift stand darauf: »Drei Stunden vorher mit Wasser einnehmen. «
    Drei Stunden wovor?
    Ein Hersteller war nicht angegeben. Auch nicht der Name eines Arztes.
    Ich schraubte den Deckel ab und schnupperte daran. Es enthielt ein paar grünliche Krümel einer kräuterartigen Substanz, ähnlich wie Oregano oder Marihuana. Aber es roch anders. Das salzige Aroma

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