Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
und die Veränderungen, die sie sich wünschen. Schließlich ordnet Kapitel 7 den gegenwärtigen Zustand in eine umfassendere Perspektive ein und wendet sich der Frage zu, wie in den kommenden Jahrzehnten eine ausgewogenere und bedürfnisgerechtere Sexualkultur entstehen könnte. Trotz all der Nöte, die diese Geschichten verdeutlichen, ist dies nicht ein weiteres Buch darüber, was in der arabischen Region falsch läuft. Es zeigt vielmehr das, was gelingt: wie Menschen in den einzelnen Ländern ihre Probleme lösen, und zwar in einer Weise, die sich oftmals von den Antworten in anderen Regionen der Welt unterscheidet. Dies ist weder ein akademischer Schmöker noch ein Panoptikum arabischer Exotika. Es ist letztlich ein Album mit Schnappschüssen aus der ganzen Region, aus dem Blickwinkel einer Person, die versucht, die Region besser zu verstehen, um sich selbst besser zu verstehen. Diejenigen, die nach einer Enzyklopädie oder einer Peepshow suchen, sollten sich anderweitig umtun.
Bislang habe ich von der arabischen Welt als einer kollektiven Einheit gesprochen, so als könnte man die 22 Länder, 350 Millionen Menschen, drei Hauptreligionen, Dutzenden kleinerer Religionsgemeinschaften und ethnischer Gruppen in einen Topf werfen. Die Bezeichnung »Middle East« (Naher und Mittlerer Osten) ist geographisch sogar noch weiter gespannt und fasst nicht nur die arabischsprachigen Länder Nordafrikas, die Arabische Halbinsel und das Östliche Mittelmeer, sondern auch die nichtarabischen Länder Türkei, Iran, Afghanistan und manchmal sogar Pakistan zu einer Einheit zusammen. Zwar gibt es grundlegende Übereinstimmungen in den sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen zwischen den arabischen Ländern, aber es bestehen auch gewichtige Unterschiede in der Art und Weise, wie Gesellschaften diese Herausforderungen angehen oder nicht. Solche Unterschiede gehen über die Sexualität hinaus und spiegeln sich eindeutig in den verschiedenen Richtungen des politischen Wandels wider, der durch die Volkserhebungen dieses Jahrzehnts ausgelöst wurde.
Von jetzt an also genauere Angaben. Dieses Buch dreht sich um Ägypten und insbesondere um Kairo, das ein verkleinertes Abbild der Bevölkerung des ganzen Landes und ihres gesamten sozialen Spektrums ist. Ägypten ist ein Schwerpunkt, der sich von selbst anbietet, nicht nur aus Gründen meiner persönlichen Geschichte, sondern auch deshalb, weil es das bevölkerungsreichste Land in der arabischen Region ist, von strategischer geopolitischer Bedeutung, und weil es nach wie vor in der gesamten Region einen starken politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Einfluss ausübt. Als ich meine Reise begann, teilten nur wenige im arabischen Raum – soll heißen: außerhalb Ägyptens – meine Meinung. Fast sechzig Jahre Militärdiktatur nach dem Zweiten Weltkrieg hatten den Stern Ägyptens, das jahrhundertelang Zentrum der arabischen Welt gewesen war, immer tiefer sinken lassen, während die ökonomische, politische und kulturelle Bedeutung seiner Nachbarn wuchs. Ägypten war wegen seiner Armut, seines engstirnigen Islamismus, seiner zerfallenden Infrastruktur, seines kulturellen Niedergangs, der grassierenden Korruption und politischen Erstarrung als ein hoffnungsloser Fall abgeschrieben worden. Oder, wie es mein Taxifahrer in Rabat, der Hauptstadt Marokkos, mit vernichtender Einfachheit ausdrückte: »Ägypter, so selbstgefällig. Und weshalb?«
Ägypten, so hieß es, habe den Faden verloren. Aber kaum dass sich seine Millionen gegen das Regime erhoben, rühmten dieselben Stimmen das Land als ein Fanal des Wandels in der gesamten Region. Weiter entfernt versuchten Demonstranten von der Wall Street bis nach Sydney die Erhebung in Ägypten in ihre Heimatländer zu importieren. Seit 2011 haben weltweite Solidaritätskundgebungen, die Nervosität in westlichen Hauptstädten, die Ängste arabischer Führer und die anhaltende globale Medienberichterstattung sattsam bewiesen, dass das, was in Ägypten passiert, noch immer von Belang ist, nicht nur für seine eigenen Bürger, sondern auch für den Rest der Welt. Ägypten hat sein geopolitisches Selbstbewusstsein wiedergefunden und dadurch eine langfristige Chance erhalten, seine Gesellschaft einschließlich ihrer Sexualkultur umzugestalten – Veränderungen, die seine Nachbarn sehr genau beobachten werden.
Bei vielen der schwierigen Fragen im Zusammenhang mit Sexualität findet man sozusagen »vor der Haustür« Vorbilder für
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