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Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)

Titel: Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shereen El Feki
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Wertvorstellungen – wider, bei denen Einstellungen zu einem breiten Spektrum von Fragen in über neunzig Ländern erfasst werden. Als Pippa Norris und Ronald Inglehart, zwei amerikanische Wissenschaftler, die Ergebnisse von Erhebungen, die zwischen 1995 und 2001 durchgeführt wurden, auswerteten, stellten sie fest, dass die größten Meinungsunterschiede zwischen den islamischen Ländern, in denen Umfragen durchgeführt wurden (unter anderem Marokko, Jordanien und Ägypten), und dem Westen (Nordamerika, Australasien und Westeuropa) nicht demokratische Werte betrafen, sondern Geschlechterrollen und Sexualität – etwa die Akzeptanz von Abtreibung, Scheidung und Homosexualität. Bei anschließenden Erhebungen der World Values Surveys zeigten sich kaum Veränderungen in diesen Einstellungen. 2 Die Autoren zogen das Fazit: »Die kulturelle Kluft, die den Islam vom Westen trennt, betrifft Eros viel stärker als Demos.« 3

Zurück zu den Wurzeln
     
    Qutbs Darstellung des Westens als einer Jauchegrube des sexuellen Chaos und moralischen Zerfalls – eine Art von umgekehrtem Orientalismus – klingt noch heute in der Rhetorik vieler islamischer Konservativer nach. Nur eine Wiedergeburt der muslimischen Gesellschaften, so Qutb, könne sie gegen eine Ansteckung schützen, und hierzu bedürfe es einer Rückbesinnung auf die Lehren der salaf – das heißt der Gründungsväter des Islam – beziehungsweise einer Interpretation, die sich an der Zeit des Propheten orientiert.
    Die Jahrzehnte währende Diktatur in Ägypten wirkte wahre Wunder, was die Stärkung dieser konservativen Strömung anlangt. Die Menschen wandten sich dem Islam und seinen sozialen und politischen Organisationen zu, nicht nur, um darin Trost angesichts des sich verschärfenden alltäglichen Überlebenskampfes zu finden oder um grundlegende Güter und Dienstleistungen zu erhalten, die der Staat nicht bereitstellte, sondern auch als eine Form des Protests und eine Gelegenheit zu bürgerschaftlichem Engagement in einem Land, dessen politisches Regime wenig Raum für beides ließ. Die Folge davon sind die überwältigenden Siege islamistischer Kandidaten bei etlichen der ersten Wahlen nach den Volkserhebungen, von Parlamenten bis zu Berufsverbänden, in den Ländern, die direkt Revolten erlebt haben – unter anderem Ägypten und Tunesien –, und denjenigen, die indirekt betroffen waren, darunter Marokko und Kuwait.
    Es ist eine Wissenschaft für sich, den islamischen Konservatismus in seinen vielfältigen Erscheinungsformen verstehen zu wollen. Aber vor Ort, im Ägypten nach Mubarak, zeichnet er sich vor allem durch Stärke und Schnelligkeit aus. Die sichtbarste Manifestation ist die besonders starke, ultraschnelle Salafisten-Bewegung, die in den letzten Jahrzehnten in Ägypten immer mehr Zulauf erhielt, sich offiziell aber erst nach der Revolution von 2011 mit wehenden Bärten und Gesichtsschleiern »outete«. Diese Männer und Frauen wollen Ägypten schnellstmöglich gemäß ihrer Interpretation des Islam umgestalten, wobei sie stark von religiösen Strömungen in den Golfstaaten beeinflusst werden. Und das beinhaltet auch eine Neufassung von Gesetzen gemäß einer strengen Auslegung der Scharia.
    Sex ist etwas, das die Salafisten sehr beschäftigt. »Ich befürchte, dass das Volk der Wollust frönt und sich selbst zerstört«, warnte mich Mahmoud al-Masry. Al-Masry ist ein prominenter Salafist, ein lächelnder Scheich, dessen heiteres Gesicht und aufgeräumte Art man auf religiösen Fernsehkanälen in Ägypten und der weiteren arabischen Welt sehen kann. Wir saßen in seiner teuren Villa in einer bewachten Wohnanlage am Stadtrand von Kairo – Feuer und Schwefel, süßlich verbrämt, haben sich als ein lukratives Geschäft erwiesen. Al-Masry missbilligt ikhtilat , die Vermischung der Geschlechter, auf die er eine ganze Reihe von Missständen zurückführt, etwa Ehebruch, Infektionskrankheiten und sexuelle Ausbeutung. Trotzdem konnten wir uns treffen, weil seine Frau – eine lebhafte Expertin für Massenkommunikation, die als seine Geschäftsführerin arbeitet – als unsere Anstandsdame fungierte.
    »Eine Frau ist für mich wie ein Diamant, den man hüten muss. Wir unterdrücken die Frau nicht, wir tun ihr keine Gewalt an – ich will sie beschützen«, sagte al-Masry, während seine Gattin energisch nickte. »Wenn man sie allein lässt, ist sie womöglich verloren, denn sie ist schlicht und emotional, jeder könnte sie verletzen.« In al-Masrys

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