Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt (German Edition)
Büchern bedeutet dies Ja zur Verschleierung, wenn es irgend geht; Ja zu Frauen, die ihren Männern in allen weltlichen Angelegenheiten gehorchen; und Nein zur Berufstätigkeit von Frauen, es sei denn, diese ist absolut notwendig, aber selbst dann unter keinen Umständen in Gemeinschaft mit Männern und keinesfalls in weisungsbefugten Positionen. »Ein Volk kann es zu nichts bringen, wenn es von einer Frau geführt wird«, sagte mir al-Masry, einen populären – und umstrittenen – Hadith zitierend. »Die emotionale Komponente wirkt sich auf den größten Teil ihrer Persönlichkeit aus. Wenn sie daher Richterin oder Herrscherin ist, wird sie zu dieser Zeit [während ihrer Periode] mit ihren Emotionen regieren, und dies wäre ungerecht gegenüber dem Volk.«
Al-Masry und seine salafistischen Gesinnungsgenossen scheinen wenig Vertrauen in ihre muslimischen Glaubensbrüder zu haben. So wie sie es schildern, schäumen Männer und Frauen, nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung, über vor Wollust, welche, wenn die Quellen der Versuchung nicht beseitigt werden, die Gemeinschaft ins Chaos stürzt. Tatsächlich hatte sich der Staub auf dem Tahrir-Platz kaum gelegt, als auch schon selbsternannte salafistische Gottesschwadronen – nach dem Vorbild der berüchtigten saudischen Religionspolizei, der »Behörde für die Verbreitung von Tugendhaftigkeit und Verhinderung von Lastern« – durch die Straßen zogen und versuchten, Frisörsalons zu schließen, Statuen zu verhüllen und händchenhaltende Paare zu terrorisieren. Die Mehrheit der Ägypter außerhalb der Salafisten-Bewegung findet solche Aktionen wahlweise amüsant oder ärgerlich. Sollten freilich diese Ultrakonservativen jemals die Kurve kriegen, haben sie dank der neu gefundenen Präsenz in der politischen Landschaft nach Mubarak das Zeug dazu, mehr als nur ein Witz oder ein Ärgernis zu sein.
Wie groß der politische Einfluss der Salafisten letztlich sein wird, hängt von den wirklichen Schwergewichten in der neuen Ordnung ab, den Muslimbrüdern und ihrem politischen Arm, Freiheit un d Gerechtigkei t . »Wir unterscheiden uns von den Salafisten nur in Bezug auf die Art und Weise, wie wir [diese Ideen] umsetzen«, sagte Ali Fath al-Bab, wichtiges Führungsmitglied der Bruderschaft und langjähriger Abgeordneter im ägyptischen Oberhaus. »Wir haben den gleichen Hintergrund und das gleiche Wissen, aber sie haben keine politische Erfahrung.« Die Bruderschaft hat welche. Die staatliche Verfolgung über vier Generationen hinweg, die Aufstände und Niederschlagungen waren eine harte, aber sehr effektive Schule für die Muslimbrüder, die heute dank ihres erdrutschartigen Sieges bei den ersten Parlamentswahlen der Post-Mubarak-Ära im turbulenten politischen Zentrum Ägyptens stehen.
Angesichts der langjährigen Mitgliedschaft Fath al-Babs bei den Muslimbrüdern bereitete ich mich sorgfältig auf unser Treffen vor. Ich verschränkte die Finger, als ich in einem der angesagten Kairoer Cafés saß und ihn näher kommen sah, um so besser dem Impuls zu widerstehen, ihm die Hand zu reichen – eine Lektion, die ich auf unsanfte Weise lernte, als ich einmal einen ägyptischen Imam allein durch eine herzliche Begrüßung in einen vorübergehenden Zustand der Lähmung versetzte. Dabei hätte ich mir keine Sorgen machen müssen – Fath al-Bab drückte meine Hand überschwänglich und setzte sich auf den Stuhl neben mir; als schließlich sein Caffé latte eintraf, hatte er die Position der Muslimbrüder zu so drängenden Themen wie Geschlechterrollen und sexuelle Rechte bereits weitgehend dargelegt.
Im Vergleich zu den Schnellspur-Salafisten sehen sich Fath al-Bab und seine Kollegen als ein langsam wirkendes Heilmittel gegen die Übel Ägyptens. Für sie kommt der gesellschaftliche Wandel – durch Bildungs-, Wirtschafts- und andere grundlegende Reformen – vor der Neugestaltung der Rechtsordnung. Dieser schrittweise Ansatz könne sich auf ein gewichtiges historisches Vorläufermodell berufen. »Zur Zeit des Propheten Mohammed gab es viele Freudenhäuser. Aber er hat sie nicht sofort verboten, vielmehr ließ er sie offen, bis sich die Gesinnung der Menschen veränderte und sie von selbst nicht mehr hingingen.« Die Muslime Ägyptens seien noch nicht reif für die Scharia, so Fath al-Bab, und solange dies der Fall sei, habe es keinen Sinn, Gesetze zu verabschieden, wie es die Salafisten verlangten, da sie ja doch nur gebrochen würden. »Freiheit und Gleichheit sind unsere
Weitere Kostenlose Bücher