SGK276 - Dr X - Das Gift des Vergessens
kam für manchen noch
rechtzeitig, für andere zu spät.
Leer und kahl wirkte der große Raum. Sauber
blinkten die hellen Keramikplatten. Auf den Herden kochte und brodelte es. Da
war niemand, der die Töpfe heruntergenommen, die Pfannen mit den brutzelnden
T-Bone-Steaks auf die Seite geschoben hätte... Es gab niemand mehr. Larry
schaltete die Stromzufuhr ab.
Das
Chaos im Hotel war perfekt.
Wieviel hundert Menschen vermisst wurden, ließ sich in der allgemeinen Verwirrung nicht feststellen.
Sirenengeheul vor dem Hotel! Polizei- und
Krankenfahrzeuge trafen ein. Die Notärzte konnten lediglich für die Menschen
etwas tun, die bei dem hektischen Betrieb Verletzungen davongetragen hatten,
bei der überstürzten Flucht zu Boden gerissen und von den Nachdrängenden
niedergetrampelt worden waren.
Mit einem gebrochenen Bein, einem
ausgekugelten Arm oder einer gequetschten Hand davongekommen zu sein, konnte
man noch als Glück bezeichnen. Am Rand gab es andere Erscheinungen. In der
panikartigen Flucht und bei der Eroberung eines Platzes in dem überfüllten Lift
waren Menschen zu Tod getrampelt worden. Zwei ältere Gäste waren vor Aufregung
einem Herzschlag erlegen.
Über die Lautsprecher der Polizeifahrzeuge,
die durch die Straßen patrouillierten, wurde vor dem Genuss jeglichen Trinkwassers gewarnt. Die Bewohner von Honolulu wurden aufgefordert,
in ihren Häusern zu bleiben, Fernseh- und Radiogeräte einzuschalten und weitere
Hinweise durch die Stationen abzuwarten und unbedingt zu befolgen. Es bestehe
kein Grund zur Panik. Die Behörden setzten alles daran, dem Unheil auf die Spur
zu kommen...
Aber - so fragte Larry sich - hatten sie dazu
überhaupt die Möglichkeit? Lag der Schlüssel nicht in der Hand einer grausamen
Feindin, die Schrecken und tausendfachen Tod verbreitete?
Nicht nur im Hotel war es zu den furchtbaren
Zwischenfällen gekommen, überall in der Stadt vermissten Familien Angehörige, suchte der Mann die Frau, die Mutter das Kind, der Bruder
die Schwester, der Freund den Freund ...
Eine Notstandssituation war entstanden, von
einem Moment zum anderen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von
dem Entsetzen. Polizei- und Ordnungskräfte hatten alle Hände voll zu tun, die
Krankenhäuser waren überfüllt. Viele Menschen drehten durch und glaubten in der
nächsten Minute ebenfalls im Nichts zu verschwinden. Viele konnten die
Nervenbelastung nicht ertragen und begingen Selbstmord. Die Selbstmordrate in
dieser Nacht schnellte in die Höhe.
Larry beteiligte sich bei Rettungsmaßnahmen,
die das Hotel betrafen und kümmerte sich um Verzweifelte, Verletzte, um
Menschen, die ihre Angehörigen suchten.
Er musste sich
beschäftigen, um den dumpfen Druck in seiner Brust zu betäuben.
Der Gedanke an Morna nagte unablässig in ihm.
Dass es sie einfach nicht mehr geben sollte -
wollte ihm nicht in den Kopf. Aber er beugte sich der furchtbaren Realität, die
er lieber in einen Albtraum verbannt hätte. Mit
eigenen Augen hatte er gesehen, wie Menschen in eine jenseitige Welt
verschwanden.
Und doch mussten sie
noch rings um sie vorhanden sein - im Reich des Unsichtbaren, in der Welt der
vierten Dimension, die das Auge des Lebenden nicht schauen konnte.
Und dieser Gedanke war fast noch schlimmer . .. Zu wissen, dass diese Menschen möglicherweise durch das Hotel irrten, über die Straßen liefen, dass Morna vielleicht neben ihm stand, mit ihm sprechen
wollte, es aber nicht konnte, weil Welten sie trennten - dieser Gedanke brachte
ihn an den Rand des Wahnsinns.
Unmittelbar vor ihm sank eine junge Frau in
die Knie.
Larry erhob sich matt, wirkte müde und
abgekämpft, die Spuren des Einsatzes waren ihm anzusehen. Er brachte es dennoch
nicht fertig, einfach nur zuzusehen, wie die Unglückliche weit den Mund aufriss und gierig nach Sauerstoff schnappte - aber keinen
mehr aufnehmen konnte, weil ihr Körper bereits dieser Welt nicht mehr
angehörte.
Die Frau vor ihm verschwand langsam wie ein
Schemen, und noch während Larry nach ihr griff, machte er eine grauenhafte
Entdeckung an sich selbst.
Er stieß mit seinen Händen ins Leere ... mit
seinen Händen?
Wo
waren sie?
Nebelschleier tanzten vor seinen Augen. Ein
dunkles Brodeln . . .
Die Luft wurde ihm knapp, Übelkeit stieg in ihm auf.
Sein Bewusstsein war
getrübt, und er merkte nur beiläufig den Übergang von einer zur anderen Welt.
Er glitt ins Unsichtbare, die Eindrücke um ihn herum versanken. Die Welt wurde
stiller, und ein panischer Gedanke
Weitere Kostenlose Bücher