SGK330 - Tanzplatz der Verfluchten
knochentrocken. Hier scheint’s überhaupt nicht geregnet zu haben ...«
Unwillkürlich warf er einen Blick zum
nächtlichen Himmel. Der Kessel stand offen wie ein Schacht. Tief und dunkel
glitten riesige Wolken über ihn hinweg.
Die anderen, die an der Zelttour teilnahmen, hielten die Bemerkung des Freundes
zunächst für einen Scherz.
Dann begutachteten und betasteten sie
das gesammelte Holz und mussten die Wahrnehmung
bestätigen.
Es hatte wie in Strömen geregnet, doch
hier im Kessel zwischen den Felsen schien kein einziger Tropfen gefallen zu
sein, obwohl ein riesiges Loch über ihnen stand.
Das war mysteriös genug, aber sie
dachten nicht mehr daran und sprachen nicht mehr darüber, als sie gemeinsam am
prasselnden Lagerfeuer hockten, die Wärme und die Suppe genossen, die von einem
Mädchen aus dem über dem Feuer hängenden Kessel geschöpft wurde.
*
Die Stimmung wurde noch besser, als
die Flaschen zu kreisen begannen. Wermut und hochprozentige Getränke machten
die Runde.
Manfred Lein griff zur Laute. Anfangs
spielte er bekannte Schlager und einen russischen Tanz, nach dessen Klängen die
anderen wie verrückt um das Feuer hopsten, die Flaschen schwangen oder die
Mädchen durch die Luft wirbelten.
Die ausgelassene Gesellschaft grölte und
sang, scherzte und tanzte.
Einmal kippte bei einem besonders
wilden Tanzmanöver der Kessel mit der Suppe um. Zum Glück befand sich nur ein
kleiner Rest in dem Behälter, der sich in das Feuer ergoss .
Ein schmatzendes Zischen entstand.
Rings ums Feuer waren Stöcke und
Stangen so angebracht, dass man bequem daran die
nassen Kleidungsstücke befestigen konnte.
Horst Kaichen und die dunkelhaarige,
wie eine rassige Zigeunerin aussehende Kerstin zogen sich zuerst in ein Zelt
zurück, riefen noch eine scherzhafte Bemerkung über den zwischen den Felsen
liegenden »Tanzplatz« und klappten dann den Eingang zu.
Für die anderen gingen Singen und
Tanzen zunächst weiter. Dann stellten sich Ermüdungserscheinungen ein, die
Akteure ließen sich erschöpft am Feuer nieder und griffen wieder zu den
Flaschen. Es gab niemand mehr, dem man nicht den Alkoholgenuss angesehen hätte.
Sie fanden den Zeltplatz toll, kein
Mensch in der Nähe, der sie störte, und die erste Furcht, die sie beim Anblick
der wildromantischen Umgebung merkwürdigerweise alle ohne Ausnahme gehabt
hatten, war längst verflogen. Keiner dachte mehr an Angst.
Mit halb geschlossenen Augen hockte
Lein vor dem Feuer, ihm gegenüber Ruth, neben ihm die grazile, blonde Andrea.
Helmut Burger, Andreas Freund, hatte
sich etwas von der Feuerstelle zurückgezogen, weil ihm die Hitze zu schaffen
machte.
Träumend saß er auf einem
moosüberwachsenen Stein und zupfte an Manfreds Laute herum.
»Ich weiß nicht«, sagte Lein plötzlich
mit leiser Stimme und griff sich an die Stirn. »Ich fühl’ mich mit einem Mal so
komisch...«
»Du hast zuviel getrunken«, ließ Ruth
Bestner vernehmen. »Ich merke nichts .« Sie rutschte
näher an ihn heran. Dabei ging ihr Blick auch zu Andrea, die einen nicht minder
abwesenden Eindruck machte.
»Ihr seid müde«, fuhr sie fort, »kein
Wunder bei der Strecke, die wir heute hinter uns gebracht haben. Vielleicht ist
es besser, es wie Horst und Kerstin zu machen. Wir ziehen uns auf
Matratzenhorchdienst zurück...«
Sie wollte noch etwas sagen, aber die
Worte blieben ihr im Hals stecken.
Da kam jemand.
Der Fremde tauchte in dem engen
Durchgang zwischen den Felsen auf - und steuerte auf sie zu
...
*
Mit fiebrig glänzenden Augen starrte
Ruth Bestner auf den Ankömmling.
»Manfred ...«, wisperte sie. Sie hatte
das Gefühl, ein Kloß säße in ihrem Hals. »Da ... ist jemand ...«
Eigentlich wollte sie lauter sprechen,
aber ihre Stimme versagte.
Sie wandte den Kopf. Manfred Leins
Blick begegnete dem ihren.
»Ich habe Angst, Manfred ... er sieht
unheimlich aus !«
Auch der Angesprochene wandte den
Blick in Richtung des nächtlichen Besuchers.
»Wer ist das, Manfred? Wo kommt er so
plötzlich her? Was will er von uns ?« Ruths Herz schlug
schneller, und sie merkte, wie ihre Handinnenflächen vor Erregung feucht
wurden. »Warum hockt ihr denn alle da wie die Ölgötzen ?«
Da erst merkte sie, dass es ihr praktisch nicht anders erging wie allen jungen
Leuten um sie herum. Sie konnte sich nur äußerst mühsam bewegen und kam nicht
in die Höhe. Es kam ihr so vor, als würde sie gegen eine unsichtbare Kraft
ankämpfen. Die war stärker als sie.
Der Fremde
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