Shadow Guard: So still die Nacht (German Edition)
brannte in Minas Wangen. Gott steh mir bei, dachte sie, wenn ich jemals einen Familienfesttag mit dieser Frau überstehen muss.
»Wofür dann?«, erkundigte sie sich mit brüchiger Stimme.
»Um Ihnen auf die denkbar einfachste Weise klarzumachen … dass Sie ihn gehen lassen sollen. Sie sind seines Schmerzes oder seines Vermächtnisses nicht würdig. Laufen Sie, und laufen Sie jetzt, so schnell Ihre kleinen sterblichen Füße Sie tragen.« Selene stand auf. »Brauchen Sie Geld, um wegzugehen? Ich habe Unmengen.«
»Nein«, antwortete Mina fest. »Ich werde ihn nicht verlassen. Wir sind verheiratet.«
Verheiratet. Die Intensität ihrer Überzeugung verblüffte Mina selbst. Sie waren verheiratet. Mark war ihr Ehemann, und sie war seine Frau.
»Verheiratet«, spottete Selene. »Unmengen Leute sind verheiratet. Es muss nichts bedeuten .« Selene kam herbeigeschlendert. »Sie sind an diesem Vorabend seines größten Kampfs nur eine Ablenkung für ihn.«
»Er wird die Dunkle Braut aufhalten.«
Sie schnaubte. »Ich spreche nicht von der Dunklen Braut. Ich spreche von mir. Wenn Sie ihn wiedersehen – falls Sie ihn wiedersehen –, sagen Sie ihm, dass sich die Portale lange genug geöffnet haben, damit ich meine Befehle erhalten konnte.«
Ihr Bild schwankte und löste sich auf. Kurz bevor sie verschwand … geriet ihr Lächeln ins Stocken. Aber dann war sie fort.
Mina stieß ein Kreischen der Enttäuschung aus. Sie stürmte quer durch den Raum. Was für eine grässliche Frau. Was für eine grässliche Geschichte.
Mark.
Sie ging ans Fenster und schaute in die Nacht hinaus. Er war dort draußen. Allein. Ja, sie hatte die furchteinflößende Kreatur gesehen, zu der er werden konnte. Aber sie hatte auch eine andere Seite an ihm kennengelernt.
Etwas lag mitten auf dem Rasen, etwas, das verdächtig nach einem Zylinder aussah. Ihr Verstand arbeitete fieberhaft. Mark hatte die Kutsche hierher umdirigiert, als die Stimme der Dunklen Braut ihm wieder zuzusetzen begann. Aber warum? Gewiss nicht nur, um sie in einem halbfertigen Haus bei Leeson abzusetzen.
Und als er sie verlassen und ihr zugerufen hatte, dass sie zurückbleiben solle, war er nicht zur Kutsche zurückgekehrt. Er war in den Garten gegangen. Mina verließ das Schlafzimmer und stieg über die Dienstbotentreppe hinunter. Sie schaffte es, eine Begegnung mit Leeson zu vermeiden, und nachdem sie von Raum zu Raum gegangen war, fand sie endlich eine Tür, die zum Garten hinausführte. Ja, sein Hut. Und ein Stück weiter sein Mantel, als hätte er ihn entlang des Wegs abgeworfen. Die beiden Kleidungsstücke führten sie bis zu einem kleinen Hain.
Eine erhöhte Steinmauer, nur etwa dreißig Zentimeter hoch, umrandete einen spiegelglatten Teich. Da war sonst nichts. Kein geheimer Pfad oder magischer Turm. Sie legte seine Sachen auf die Steine und setzte sich enttäuscht hin.
Eine sanfte Brise kräuselte die Oberfläche des Wassers und verzerrte für einen Moment das Spiegelbild des Vollmondes. Orangefarben und silbern gemusterte Karpfen drehten ihre Runden unter der Oberfläche. Ihre Schuppen glitzerten im Mondlicht.
Ihr Spiegelbild spähte ihr entgegen, eine mitfühlende Vertraute.
»Was soll ich tun?«, flüsterte sie, ihr Herz voll Liebe und verletzlich. »Ich liebe ihn. O ja. Das tue ich. Und ich bin unglücklich ohne ihn.«
Ihr Spiegelbild lächelte. Geistesabwesend berührte Mina ihren Hinterkopf und stellte fest, dass ihr Haar, wenn auch vom Tag etwas zerzaust, immer noch festgesteckt war – ganz und gar nicht wie das lange dunkle Haar, das unter ihr kreiselte.
Eine Hand schoss aus dem Wasser und riss sie am Unterarm herunter, sodass sie mit dem Gesicht voran in den schwarzen Teich stürzte.
Der Kälteschock zwang die Luft aus ihren Lungen. Instinktiv atmete sie ein. Luft, nicht Wasser, drang in ihren Mund und ihre Nase. Hände an ihren Unterarmen zogen sie hinunter … hinunter … hinunter. Das Mondlicht wurde schwach. Mina kämpfte. Wand sich. Trat um sich, um sich zu befreien.
Ein bleiches Gesicht tauchte vor ihr auf. Dann ein scharfer, schmerzhafter Druck – Zähne klemmten ihre Nase ein. Und schließlich wieder sich kräuselnde dunkle Haare und aufblitzende silberne Schuppen. Zwei Hände stießen und schoben sie durch ein Loch – einen Tunnel. Ihre Füße fanden Halt auf soliden Steinen. Stufen. Mit geweiteten Augen griff sie nach einem orangefarbenen, zuckenden Schimmer.
Mina hechtete aus dem Wasser und fiel keuchend auf einen Mosaikboden. Sie
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