Shadow Guard: So still die Nacht (German Edition)
Vorahnung durchlief seine Brust.
Er trat vor und stieg ein. Der Kutscher hievte mit einem Ächzen die Stufen in die Kutsche. Sie schlitterten über den Holzboden und schlugen gegen die gegenüberliegende Wand. Die Tür schloss sich krachend. Das Gefährt schwankte, während der Kutscher oben auf seinen Platz zurückkehrte, und die drei anderen Kreaturen kletterten nach hinten auf die Kutsche.
Der Wagen bog aus der Gasse. Marks Sitz wippte auf knarrenden, verrosteten Federn. Der schwere Duft von Moschus und Verwesung erfüllte seine Nase. Eine Motte flatterte über seine Wange.
Mark schloss die Fenster, jeder Muskel in ihm steif vor Anspannung. Die Kutsche fuhr nach Süden, vorbei am Buckingham Palace und am Belgrave Square. Der Bezirk Chelsea flog im dunstigen Nebel vorüber. Dunkelheit schloss sich um die Kutsche, während sich die Stadt in einzelne Vororte, in Dörfer auflöste und Dörfer in plattes Land übergingen. Schließlich verlor Mark jedes Zeitgefühl. Irgendwann ratterten die Räder und zerrten ihn mit dem deutlichen Geräusch, dass sie eine Brücke überquerten, zurück ins Bewusstsein. Einige weitere Meilen, dann verlangsamte die Kutsche ihr Tempo.
Er sprang auf die Straße, noch bevor das Gefährt stand.
Ein großes Ziegelsteintor ragte vor ihnen auf. Über dem Tor stand in großen Lettern: THE CHELSEA WATERWORKS COMPANY. Marks Bewusstsein dehnte sich aus und durchsuchte die stummen Gebäude, die umliegenden Haine und die Dunkelheit nach irgendeiner Spur der Frau, die ihn gerufen hatte. Doch die Luft trug ihm nur das Geräusch von rauschendem Wasser und das Zischen von Dampfmaschinen zu.
Der Ort allein – Wasserwerke – gab Mark Grund zur Sorge. Die Wasserwerke belieferten Zehntausende Londoner Bürger mit Wasser. Aber er verspürte auch ein elektrisierendes Gefühl erregender Erwartung. Heute Nacht würde er eine Audienz bei derjenigen bekommen, die danach trachtete, die Kontrolle über seinen verfallenden Geist an sich zu reißen, aus welchen abscheulichen Gründen auch immer.
Die Dunkle Braut.
Die drei Kreaturen sprangen von ihrem Platz hinten auf der Kutsche und rannten wie aufgeregte Kinder auf das Tor zu. Mark sah keinen Hinweis auf eine Nachtschicht oder auf einen Wachmann. Eine schwere Kette und ein Vorhängeschloss lagen auf dem Boden, glatt durchtrennt. Seite an Seite drückten die Kreaturen das schmiedeeiserne Tor auf. Das Metall quietschte misstönend. Mit rudernden Armen drängten sie ihn, hindurchzutreten.
Zwei riesige Wasserreservoirs breiteten sich vor ihm aus, Seite an Seite, geteilt durch eine Trennwand aus Beton. Zu beiden Seiten ragten zwei Bögen herein, die wohl dazu dienten, die hereinkommende Flut von der Themse zu filtern.
Plötzlich beleuchteten mindestens hundert scharlachrote Papierlaternen die Oberfläche der Wasserreservoirs. Sie trieben langsam auf dem Becken und warfen ihren Schein aufs Wasser – sodass es wie ein See von Blut wirkte.
Erst da wurde Mark bewusst, dass eine schattenhafte Gestalt am fernen Ende der Wasserbecken stand, auf der schmalen Trennmauer aus Beton. Er nahm den Umriss eines Kopfes wahr, Schultern und den langen Fall eines Mantels. Die drei Kreaturen redeten ihm zu, weiterzugehen.
»Stellen Sie sich vor«, drängte einer.
» Schnell, sie wartet«, zischte ein zweiter.
Mark folgte ihnen den schmalen Weg über die Trennwand der beiden Becken. Als er näher kam, nahm er einen fauligen Geruch in der Luft wahr, wie von einem Kadaver, der zu lange in der Sonne gelegen hatte – Beweis dafür, dass die Dunkle Braut ohne Zweifel eine transzendierende Seele war.
»Du bist gekommen«, flüsterte sie.
Die Stimme erkannte er nicht. Allerdings sprach sie sehr leise.
Sie hatte das Gesicht abgewandt, sodass er es nicht sehen konnte. Die Kapuze ihres Umhangs bedeckte ihren Hinterkopf. »Ich habe lange gewartet.«
»Anrührende Gefühle. Leider sind sie schwer zu erwidern, weil ich keine Ahnung habe, wer du bist.«
Er schätzte die Körpergröße und Gestalt der Dunklen Braut ab. Bedauerlicherweise unterschied sie nichts von anderen Frauen oder identifizierte sie als irgendjemanden, den er kannte.
»Du weißt, wer ich bin«, antwortete sie neckend.
»Sag es mir.« Er trat näher.
Die Kreaturen versperrten ihm den Weg, duckten sich jedoch mit gebeugten Köpfen. Sie beschützten ihre Herrin, hatten aber offensichtlich nicht den Wunsch, sich seinen Zorn zuzuziehen.
»Ich habe dir viele Dinge gesagt … beinahe ständig … aber du hast es
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