Shadow Guard: So still die Nacht (German Edition)
Hand. »Es ist alles in Ordnung.«
Was für eine Lüge. Eine gottverdammte Lüge. Mark hatte kein bisschen recht. Von dem Moment an, als Lucindas kopfloser Leichnam im Springbrunnen entdeckt worden war, war das Haus in einen Zustand der Hysterie verfallen. Mina war hin und her geeilt zwischen zwei zusammenhanglos redenden und schluchzenden Mädchen und einem zitternden, weißgesichtigen Lord Trafford, der gerade von seinem morgendlichen Ausritt auf der Row zurückgekehrt war, als man den Leichnam seiner Ehefrau entdeckt hatte.
Derweil war Mark mit einem Bettlaken nach draußen gegangen und hatte Lucindas Leichnam und den abgetrennten Kopf bedeckt, um sie vor den Blicken der Diener zu schützen, die aus den oberen Fenstern das Spektakel begafften. Seltsamerweise hatte Lucindas Leiche so ausgesehen – und gerochen –, als sei sie schon seit Wochen tot.
Als Nächstes hatte er die Behörden verständigt, denn, verdammt noch mal, er hatte keine andere Wahl gehabt, wenn man bedachte, wie auffällig ihr Leichnam zur Schau gestellt worden war. Inmitten all dieses Wahnsinns hatte er keinen Moment gefunden, um mit Mina allein zu sprechen.
Also ging er nicht mit dem höchsten Maß Zuversicht in dieses Verhör mit dem verdammten stellvertretenden Polizeichef – in dem Wissen, dass seine Frau ihn vielleicht als einen verdammten Mörder bezeichnen würde. Seit sie ihr Zimmer über dem Garten verlassen hatten, hatte sie ihm nicht ein einziges Mal in die Augen gesehen und ihre Gedanken für sich behalten, als habe sie Angst, sich irgendjemandem anzuvertrauen, insbesondere ihm.
Anderson sagte sanft: »Bitte, bitte, nehmen Sie Platz. Ich weiß, dass all dies außerordentlich beunruhigend sein muss, vor allem für Sie, Lady Alexander.«
Mina nickte; ihre Wangen waren ohne ihre gewohnte kräftige Farbe. »Danke.«
Sie ließ sich in einen Sessel sinken und krampfte die Hände um ein Leinentaschentuch auf ihrem Schoß.
Mark stellte sich hinter sie und legte die Hand auf die geschwungene Rückenlehne des Stuhls. »Ich ziehe es vor zu stehen, wenn das in Ordnung ist.«
Der Polizeichef nickte. Auch er blieb stehen. »Ich habe mich im Flur vorhin schon vorgestellt; ich bin Robert Anderson, stellvertretender Polizeichef von Scotland Yard. Normalerweise beteilige ich mich nicht selbst an unseren polizeilichen Ermittlungen. Aber angesichts dieses überaus tragischen und beunruhigenden Todesfalls, dem die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gewiss sein dürfte, habe ich beschlossen, eine Ausnahme zu machen. Wie Sie beide wahrscheinlich aus der Lektüre der Zeitungen wissen, hat es im Laufe der vergangenen Woche eine Anzahl unerfreulicher Entdeckungen an der Themse gegeben. Wegen der … ungewöhnlichen Gewalttätigkeit von Lady Traffords Tod müssen wir absolut sichergehen, dass die Zwischenfälle in keiner Weise miteinander in Verbindung stehen.«
Es war keine Überraschung, dass Anderson ein besonderes Interesse an Lucindas Ermordung zeigte. Sein Vorgänger, Sir Charles Warren, war gezwungen gewesen, wegen der Ripper-Morde von seinem Posten zurückzutreten, weil die Öffentlichkeit angesichts der von ihm geleiteten und als unzureichend empfundenen Ermittlungen das Vertrauen zu ihm verloren hatte. Gewiss hatte Anderson nicht den Wunsch, dass ein ähnlicher Mordfall noch einmal gleiches Aufsehen erregte.
Der stellvertretende Polizeichef breitete nachsichtig die Hände aus. »Nachdem das gesagt ist, hoffe ich, dass Sie verstehen, dass dieses Verhör in keiner Weise andeuten soll, dass Sie unter Verdacht stehen. In der Tat, zu dieser Zeit sind wir uns nicht einmal sicher, dass wir es mit einem Mord zu tun haben – und ich werde diese Bemerkung gleich erklären. Aber um professionelle polizeiliche Ermittlungen durchzuführen, müssen wir mit jedem sprechen, der sich gestern Nacht auf dem Anwesen aufgehalten hat.« Anderson verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe doch richtig verstanden, dass Sie beide erst gestern geheiratet haben?«
Mina nickte. »Ja, Sir, das ist wahr.«
Marks Blick ruhte auf Minas dunklem, glänzendem Haar. An irgendeinem Punkt in der Nacht hatte sie den Ring seiner Mutter abgenommen. Das hatte ihn tiefer verletzt, als er erwartet hätte.
Anderson fuhr fort. »Bitte, akzeptieren Sie meine Glückwünsche zu Ihrer Vermählung, aber auch mein Mitgefühl, dass ein solch glücklicher Anlass von der schrecklichen Entdeckung heute Morgen überschattet worden ist.«
»Ich danke Ihnen«, antwortete Mina
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