Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
nicht ansehen zu müssen, blickte sie in ihre Tasse, das gleichmäßige Ticken seiner Wanduhr war das einzige Geräusch, das die plötzliche Stille unterbrach. Tick, tick, tick.
Der Lieutenant kannte die Antwort auf seine Frage, und sie hatte einfach keine Lust, sich selbst noch stärker zu belasten, indem sie über diese Angelegenheit sprach.
»Wir haben bereits darüber gesprochen, Rebecca. Ihre persönliche Beziehung zu dem Opfer macht den Fall noch komplizierter, als er ohnehin schon ist. Sie haben einfach nicht die nötige Distanz.«
Sie hob den Kopf und blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
»Vielleicht ist das genau das, was den Ermittlungen bisher fehlt. Jemand, der ein persönliches Interesse an der Aufklärung des Falles hat.« Sie stellte ihre Tasse auf der Ecke seines Schreibtischs ab und kreuzte abermals die Arme vor der Brust. »Murphy ist ein guter Polizist, aber ziemlich simpel gestrickt. Für ihn ist jeder neue Ansatz ein radikales Konzept, das nur etwas für linke Liberale, vieräugige Freaks oder Weicheier ist.«
Santiago zog eine Braue in die Höhe und sog, um nicht zu lächeln, eilig seine Unterlippe ein.
»Warum haben Sie sich von ihm reizen lassen?«, kam er zielsicher zum Kern des Problems. »Wenn ich nicht dazwischengegangen wäre, hätten Sie ihm wahrscheinlich sogar noch eine verpasst.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich fand die Idee gar nicht so schlecht.«
»Diese Antwort reicht mir nicht, Rebecca.« Er beugte sich nach vorn und stützte sich mit beiden Ellenbogen auf der Schreibtischplatte ab. »Hören Sie, ich weiß, wie schwer es für Sie ist, dass man Sie an den Ermittlungen in Danielles Fall nicht stärker beteiligt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich mich fühlen würde, wenn einem meiner Kinder etwas passieren und man mir verbieten würde, der Sache nachzugehen.«
Es war ihm deutlich anzusehen, was für ein Mitgefühl er mit ihr hatte, aber trotzdem sagte er: »Zwingen Sie mich nicht, Sie aufzuhalten, Becca. Das würde ich nur äußerst ungern tun. Aber Sie müssen verstehen, dass es nicht nur um Ihre Schwester, sondern um mehr geht, und dass ich nicht erlauben kann, dass die Arbeit der Kollegen durch Ihr Einmischen gefährdet wird.«
»Aber Danis Fall geht in diesen Entführungen vollkommen unter, Sir«, erklärte sie, und ihre Stimme drückte aus, wie unglücklich sie war. »Ich muss für sie sprechen, weil es offenkundig niemand anders tut.«
Er setzte wieder die gewohnte, strenge Miene auf.
»Muss ich Sie extra daran erinnern, dass der Fall ihrer Schwester anders als die beiden anderen Fälle liegt? Zugegeben, alle drei Mädchen haben hier gelebt und verschwanden, während sie auf irgendwelchen Klassenfahrten waren. Aber da enden die Ähnlichkeiten auch schon. Von Ihrer Schwester gab es nach ihrem Verschwinden von Padre Island immerhin noch eine Spur.«
In den Klang seiner erhobenen Stimme mischte sich das Quietschen seines Stuhls, sofort bekam sie eine Gänsehaut, als hätte jemand mit seinen Fingernägeln an einer Schiefertafel gekratzt. Ihre Nerven lagen blank, doch hatte ihre Reaktion weniger mit dem Geräusch als mit dem, was er gesagt hatte, zu tun.
Der Lieutenant machte es sogar noch schlimmer und fügte seine Version der Ereignisse hinzu.
»Hören Sie, Sie müssen sich den Fakten stellen. Nach ihrem Verschwinden hat Dani an zwei Tankstellen und in einem Motel ihre Kreditkarte benutzt. Ein Augenzeuge und eine Videoaufnahme bestätigen, dass sie es war. Es sieht also ganz so aus, als wäre sie von zuhause weggelaufen und hätte sich mit den falschen Leuten eingelassen.«
Ein unzuverlässiger Zeuge und eine verschwommene Videoaufnahme waren für Becca keine wirklichen Beweise. Selbst wenn das junge Mädchen in dem Video ausgesehen hatte, als hätte es die von Danis bester Freundin identifizierten neuen Kleider ihrer Schwester an, war das höchstens ein Indiz.
»Aber, Art, verstehen Sie denn nicht? Das hätte sie niemals getan. Sicher, sie war manchmal etwas rebellisch, aber welches junge Mädchen ist das nicht? Himmel, Sie hätten mich erleben müssen, als ich in dem Alter war.«
Becca sprang von ihrem Stuhl, stapfte Richtung Fenster und kämpfte gegen die aufsteigende Wut. Sie hatte diese Version der Geschehnisse auch vorher schon gehört, und auch damals hatte sie schon ihren Zorn geweckt, aber es nagte an ihr wie ein Krebsgeschwür, wenn sie in der Vergangenheit von Dani sprach. Es fühlte sich einfach nicht richtig an.
»Sie?
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