Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
Gerichtsverhandlung ist mir vollkommen egal. Ich will nur Gerechtigkeit für meine Schwester, weiter nichts.«
»Genau da liegt das Problem. Zwingen Sie mich nicht, den Boss herauszukehren. Falls irgendein Verrückter junge Frauen entführt und umbringt, ist es meine – und auch Ihre – Aufgabe, dafür zu sorgen, dass er hinter Schloss und Riegel kommt.« Er verzog unglücklich das Gesicht. »Zwingen Sie mich nicht, Sie zu suspendieren. Schließlich ist uns beiden klar, wie Sie diese freie Zeit verwenden würden. Deshalb wäre es mir lieber, Sie blieben auch weiterhin im Dienst, wo ich Sie im Auge behalten kann.«
Immer noch stirnrunzelnd beugte er sich über seinen Schreibtisch, es war ihm deutlich anzusehen, dass seine ehrliche Besorgnis die persönliche Enttäuschung über ihre Eigenmächtigkeit bei Weitem überwog. Sie verdankte ihm sehr viel. Er hatte sie schon früh unter seine Fittiche genommen und sie immer protegiert. Durch ihre Einmischung in die Ermittlungen in diesem Fall hatte sie sein Vertrauen grob missbraucht und sich als Polizistin in ein schlechtes Licht gerückt. Doch sie hatte keine andere Wahl gehabt. Die hatte sie noch immer nicht. Sie richtete sich kerzengerade auf und wartete darauf, dass er weitersprach.
»Bevor Sie duschen gehen, gehen Sie noch kurz in die Zentrale. Sie haben einen Anruf wegen der Überreste eines Skeletts bekommen, das in dem eben abgebrannten alten Imperial Theater gefunden worden ist. Sie werden vorübergehend in der Abteilung für unaufgeklärte Fälle arbeiten, die sich mit solchen Dingen befasst.«
»Ist das ein Befehl, L.T.?«
»Muss es einer sein?«, fragte er in scharfem Ton. Inzwischen hatte er genug von der Rolle des fürsorglichen Vaters und kehrte wieder den strengen Boss heraus. »Hören Sie, ich gebe Ihnen die Möglichkeit, einen offenen Fall zum Abschluss zu bringen. Gerade Sie müssen doch wissen, wie wichtig so was ist. Der Knochenhaufen im Theater war schließlich mal ein Mensch, der irgendwelchen anderen Menschen fehlt. Also machen Sie Ihre Arbeit, und ich halte Sie dafür über Murphys Ermittlungen auf dem Laufenden. Okay?«
Becca kreuzte abermals die Arme vor der Brust, lehnte sich zurück und starrte ihren Vorgesetzten an. Er hatte die Schuldkarte so meisterhaft gespielt, dass er unmöglich zu übertrumpfen war. Sie legte ihren Kopf ein wenig schräg und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln, als er seinen Sieg genoss.
Er lächelte ebenfalls. »Falls Sie irgendetwas brauchen oder einfach reden wollen, bin ich immer für Sie da.«
»Danke, L.T. Das werde ich mir merken.«
Damit verließ sie sein Büro, marschierte zur Zentrale und sagte sich, dass Lieutenant Santiago mit einer Sache recht hatte. Es war unglaublich wichtig, einen Fall zum Abschluss zu bringen. Das war jedes Opfer wert.
Während die Hitze der Sonne den morgendlichen Dunst verbrannte, brachte eine kühle Front eine steife Brise mit sich, die an den Bäumen rüttelte. Wie es für Texas typisch war, konnte auf brütende Hitze oder monsunartige Regenfälle ein Hauch von Winter folgen; um diese Jahreszeit machte es sich bezahlt, wenn man dank der jahrelangen Mitgliedschaft bei den Pfadfinderinnen für alles gewappnet war.
Becca bog von der Commerce in die St. Mary's Street, fand einen Parkplatz direkt gegenüber dem Theater, stellte ihren Wagen neben einem der Löschfahrzeuge ab, stieg aus, klappte den Kragen ihres weißen Hemdes hoch und knöpfte die Jacke ihres marineblauen Hosenanzugs zu. Dann nahm sie ihre Sonnenbrille ab, steckte sie in ihre Jackentasche, klemmte sich ihren Ausweis an den Kragen und ging über die Straße, um sich den Schaden erst einmal von außen anzusehen.
Das gelbe Absperrband flatterte wie eine Fahne in der Brise und lockte neugierige Gaffer an. Mehrere Leute lungerten bereits auf ihrer Straßenseite herum. Sie hatte keine Ahnung, was sie sich davon versprachen, denn nach allem, was sie wussten, hatte es lediglich gebrannt. Die Nachricht von dem Leichenfund hatte sich noch nicht herumgesprochen. Trotzdem zog morbide Neugier diese Menschen wie ein überfahrenes Tier die Fliegen an.
Ein Mann hob sich von der Menge ab.
In seinem eleganten Anzug mit Krawatte und mit seinem attraktiven südländischen Gesicht sah er nicht nur aus, als wäre er direkt von der Titelseite des Gentlemen's Quarterly-Magazins gestiegen, sondern als schwimme er auch noch im Geld. GQ trug eine dunkle Sonnenbrille, hatte die Hände in den Hosentaschen, lehnte lässig an
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