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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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die letzten Gäste. Auch die Blonde hängte sich eine Jacke um die Schultern, wobei ihr ein Plüschtier aus der Tasche fiel, so ein weißes Lamm, wie es ganz kleine Mädchen haben.
    Der Parkplatz war voller Pfützen, in denen sich die aufgeschaufelten Schneeberge spiegelten, und vor dem Wagen gab es eine kurze Verwirrung. Die beiden wollten nach hinten, aber Lars bestand darauf, dass Marlies sich neben ihn setzte; Schönheit müsse gerecht verteilt werden, sonst würden die Stoßdämpfer quietschen. Er war schon ein perfekter Gentleman, der raffinierte Sack, er wusste immer, wie man’s dreht. Ich hielt Aischa die Tür auf.
    Sie verzog den Mund und drückte sich in die Ecke. Den Kragen hochgeschlagen, die Arme vor der Brust verschränkt, sah sie aus dem Fenster, als wollte sie ab jetzt nicht mehr sprechen, schon gar nicht mit mir. Doch weil Lars die Karre beim Anfahren zum Schlingern brachte, überall Matsch, musste sie sich auf dem Polster abstützen und rief im selben Moment: »Igitt! Was ist das denn? Ich kotz gleich.«
    Sie hob die gespreizten Finger ins Laternenlicht, und ich grinste. Auch ihre Ekel-Miene war irgendwie hübsch. »Keine Angst, das sind nur Haare. Von Rufus, einem Setter. Mit dem toben wir immer in den Dünen herum. Der ist noch ganz jung und kann Luftsprünge machen, da denkst du, er fliegt.«
    Die Brauen erhoben, starrte sie mich an, als hätte ich etwas komplett Bescheuertes gesagt; die Nasenflügel zuckten. »Hat aber leider Syphilis«, brummte Lars über die Schulter, und ihre Augen schienen immer noch schwärzer zu werden. Doch dann schmunzelte sie streng, sackte wieder zurück und wischte die Hand an meinem Hosenbein ab.
    »Wohin fahren wir eigentlich«, fragte Marlies, die sich eine Zigarette angesteckt hatte, ein ziemlich krummes Ding.
    Die Straße war geräumt, kein Auto mehr unterwegs. Reste der abgefackelten Döner-Bude ragten aus dem Schnee. An der Tankstelle war nur die Münzsäule erleuchtet, und alle Ampeln standen auf Gelb. »Erstmal nach Dierhagen«, sagte Lars, und gab Stoff. Im Radio wurde vor Glätte gewarnt.
    Aischa hatte die Hand auf meinem Bein gelassen. Ich begann mit ihren langen Fingern zu spielen, und obwohl sie darauf einging, starrte sie weiter aus dem Fenster. »Wieso Dierhagen?«, fragte ich und rutschte näher an sie heran. Jetzt fühlte auch ich die Haare auf dem Sitz, und gleichzeitig roch ich ihr Parfüm, das mir viel besser gefiel als das der anderen, irgendwas mit Veilchen, glaub ich, sehr flüchtig. Mein Puls schlug in den Ohren.
    Draußen huschten die Bäume vorbei, die Reetdächer und Masten, unsere Knie berührten sich schon, die Schenkel, und sie tat immer noch so, als wäre ich gar nicht da. Erst als ich vorsichtig an der Kragenspitze ihres Mantels zog, löste sie sich von dem Bild der verschneiten Felder und Deiche, und ihr spöttischer Blick schien zu sagen: Nanu, was will er denn?
    Der Schwung ihrer Wimpern haute mich um. Das Gesicht war schmal, die Wangen fielen leicht nach innen, und sogar ihr Kuss hatte irgendwie Charakter. Ich glaube, ich bin noch nie so bereitwillig und elegant geküsst worden, so erfahren auch; ich kriegte plötzlich das Gefühl, zu jung für sie zu sein, und musste an die Pickel unter meinem Rollkragen denken. Und dann zupften wir uns ein paar Hundehaare von den Lippen, und ich wiederholte: »Wieso Dierhagen? Da brauchen wir nicht vorbei, Mann. Hab den Schlüssel in der Tasche.«
    »Na, umso besser«, sagte Lars und schaltete in den fünften Gang. Marlies reichte uns ihren Joint, und nachdem wir daran gezogen hatten, legte Aischa den Kopf an meine Brust, und ich roch an ihren Locken. Ich weiß nicht wie oder warum, aber die Energie darin hatte etwas mit dem Wind auf den Steilküsten vor Ahrenshoop zu tun. Auch wenn er nicht weht und die Sträucher oder Bäume ganz ruhig stehen, glaubt man seine Kraft zu fühlen in den federnden Zweigen.
    Dunkel stand das Haus an der weißen Düne, ohne Fahne auf dem Turm. Den Weg vom Stellplatz zum Eingang hatte ich erst am Vormittag geräumt, und auf der hauchfeinen Schneeschicht, die inzwischen wieder das Pflaster bedeckte, war keine Fußspur zu sehen, nur Möwenzacken. Einen Moment lang überlegte ich, ob wir eine der Parterrewohnungen nehmen sollten; aber die waren behindertengerecht, mit elektrisch verstellbaren Betten, ziemlich empfindlich, und die Bäder sahen aus wie im Altenheim. Also führte ich sie in das Turmzimmer im dritten Stock, ich hatte ja einen Generalschlüssel, und Aischa

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