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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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und Marlies, die auf einem Sessel im Turm saß, einem halbrunden Erker, rauchte schon wieder Gras; blau wölkte der Qualm durch das Mondlicht, und ich fragte mich, wie lange man ihn riechen würde. Eigentlich war das ein Nichtraucherhaus, und nachdem ich ein paar Kerzen angezündet hatte, schrieb ich das fehlende l in das »Wilkommen«.
    Dann blickte ich mich um. Obst auf dem Boden, Schalen und Kleider, und die beiden Schlafzimmer standen offen. Ihre Fenster gingen zum Wald hinaus, und in dem größeren, in so einem Bett mit Baldachin, lagen Aischa und Lars. Sie hatten die Nachttischlampe gedimmt und waren unter die Decke gekrochen; ich konnte nur ihre Köpfe sehen, und wie sie sich küssten. Der Slip hing an der Klinke.
    Doch Marlies trug sogar noch ihre Daunenjacke. Die Füße auf dem Messingtisch, einen angebissenen Apfel im Schoß, reichte sie mir den Joint, und ich setzte mich neben sie. »Gleich wird es wärmer«, sagte ich paffend, aber sie antwortete nicht. Sie starrte aufs Meer, wo ein paar Eisschollen trieben. Schwarz der Lack auf ihren Nägeln, und die Absätze der Stiefel waren arg zerschrammt; wahrscheinlich blieb sie dauernd in irgendwelchen Gitterrosten damit hängen. Auch die Spitzen hatten kaum noch Farbe.
    Ich schloss kurz die Augen; mir wurde etwas schwindelig von dem Dope. Der Mund war trocken, und weil ich mein Glas nirgendwo sah, trank ich einen Schluck aus ihrem, was sie aber nicht zu stören schien. Erst schmeckte ich den süßlichen Lippenstift, und dann hörte ich das Prickeln ganz laut in meinem Kopf, und sie sagte freundlich: »Könntest du die Hand da wegnehmen, bitte? Ich bin so was von zugedröhnt ... Ich hab das Gefühl, ein Ziegel liegt auf meinem Bein.«
    Mir war gar nicht bewusst, dass ich sie dort hingelegt hatte, und als ich mich entschuldigte, lächelte sie und machte noch einen Zug von dem Stummel. Vereinzelte Schneeflocken wehten vorbei, die Kiefern vor dem Haus schwankten, und wortlos blickten wir zum Horizont, wo die Frachtschiffe zum Nord-Ostsee-Kanal oder ins Baltikum fuhren. Immer glaubt man, die winzigen Lichtpunkte finden gar nicht vom Fleck, wie Bojen. Doch dann sind sie plötzlich verschwunden. Im Kamin hallten die Schreie von Möwen nach.
    »Was machst du denn so?«, fragte ich. »Geht ihr noch zur Schule?«
    »Ich?« Sie knöpfte ihre Jacke auf und schüttelte den Kopf. Wieder roch ich dieses Parfüm. »Nein, nein. Da kriegt mich keiner mehr hin. Nur wenn ich meine Tochter abhole.«
    Asche rieselte auf ihren Pullover, was sie aber nicht bemerkte. Viel älter als ich konnte sie kaum sein, doch bei genauerem Hinsehen hatte sie Fältchen unter den Augen. Über den weißblond getönten Brauen waren die Narben alter Piercings zu erkennen, auf den Wangen schimmerte etwas Flaum, und auch der Ring an ihrem Finger war eigentlich kein Mädchenschmuck mehr; er sah richtig edel aus, mit einem wasserblauen Stein, ein Erbstück vielleicht, und als ich nach der Hand greifen wollte, hob sie ihr Glas. Das Eis darin klickte.
    »Ich hab bis vor kurzem in Stralsund gearbeitet«, sagte sie und trank einen Schluck. »In einer kleinen Druckerei; Bildtapeten, Wand-Tattoos und Beschriftungen aller Art. Lief eigentlich ganz gut. Du glaubst nicht, was die Leute sich ins Zimmer kleistern. Die leben an der Ostsee und wollen ein Riesenfoto vom Pazifik hinterm Bett. Aber diese Laminierungen, die sind das reine Gift ...«
    Sie warf die Kippe in die Tasse, die sie als Aschenbecher benutzte, und ich drehte mich um. Den beiden dort drüben war schon mehr als warm; die Steppdecke und ein Kissen lagen auf dem Teppich. Aischa, von der ich nur die Beine sah, das Licht auf den Knien, flüsterte etwas, ganz schnell, es klang wie ein Hecheln, und kratzte dabei Striemen auf Lars’ Rücken. Dem lief der Schweiß die Arme hinunter, und eine seiner Socken – er trug noch Socken – hatte ein Loch.
    Grinsend stieß ich Marlies an und zog mein Steinzeit-Handy aus der Tasche; doch der Abstand war zu groß, die Bilder wurden nicht scharf genug. Beide sahen wir auf das Display, fast berührten sich unsere Schläfen, und als ich sie küssen wollte, hob sie schnell das Kinn und sagte: »Krieg ich noch was zu trinken?«
    Auch um den Mund herum gab es Fältchen. Der Wind hatte sich gedreht, dicke Schneeflocken klatschten gegen die Scheiben, und manchmal konnte man ihre Sternform erkennen, ganz kurz nur. Niemand war auf die Idee gekommen, die Flasche in den Kühlschrank zu stellen; der etwas zu schwungvoll eingegossene

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