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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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kreischte leise, als ich den Kronleuchter anknipste. Sie hing schon wieder an Lars’ Arm.
    Der Wohnraum mit seinen goldgerahmten Spiegeln hatte große Fenster zum Meer hinaus, und vor dem Kamin, in dem Holz aufgeschichtet war, standen zwei braune Ledersofas mit einem flauschigen Teppich dazwischen. Überall dicke Kerzen, die Lilien auf der Küchentheke waren frisch, und in dem Korb für Obst und Süßigkeiten lag auch eine Flasche Champagner, wie immer, wenn Gäste erwartet wurden. Meine Mutter hatte ihnen sogar eine Grußkarte geschrieben, und als ich ihre Handschrift sah, kriegte ich ein bisschen Muffe.
    In der Nacht würde niemand mehr kommen, es war viel zu spät; aber wahrscheinlich fingen am nächsten Tag irgendwelche Ferien an, und ich wollte schon alles abblasen und mit den dreien in den Matratzenkeller gehen, da warf Aischa mir den Mantel zu und verschwand im Bad. Es war mit weißem Granit ausgelegt und größer als mein Zimmer zu Hause, und weil sie die Tür offen ließ, hörte ich sie nicht nur pinkeln. Sie furzte dabei, und Marlies lächelte mich an. Ihre Pupillen waren ganz klein.
    »Wollen wir sie köpfen?«, fragte sie, und ich wusste erst nicht, was sie meinte. Ich machte Lars, der am Radio drehte, ein Zeichen. Aber dem musst du schon mit Zaunpfählen kommen. Er kniff die Augen zusammen, leckte sich die Unterlippe, und dann hatte er seinen Sender gefunden, und irgendeine Hip-Hop-Scheiße krachte aus den Boxen – so laut, dass ich den Korken nicht hörte. Er traf mich am Ellbogen, und als ich mich umblickte, tropfte der Champagner aufs Parkett.
    Ich lief zur Anlage, stellte sie leiser und wollte schon was sagen, aber na ja ... Der Weinkeller war gut gefüllt; Frau Sonntag konnte nicht alle Flaschen zählen. Ich nahm einen Beutel Eis aus dem Kühlschrank, zerbrach ihn über dem Knie, und Marlies verteilte die Brocken auf vier Wassergläser und goss das Prickelzeug darüber. Bei der Gelegenheit las ich den Fehler meiner Mutter; sie hatte Willkommen mit einem l geschrieben. Sie schreibt auch Maschine mit ie.
    Ich trank einen Schluck, drehte die Karte um, und dann rauschte die Spülung und Aischa kam aus dem Bad. – Es war so, als hätte man die ganze Zeit nur einen Lichtglanz auf dem ruhigen Meer gesehen, einen vagen Schimmer, wer weiß woher, und plötzlich trieben alle Wolken weg und über einem stand der runde Mond. Sie war völlig nackt, das heißt, sie trug bloß einen transparenten Slip, knapper als ihre Behaarung, und während sie mich ansah mit diesem Lächeln, das man sich freier nicht vorstellen konnte, was sicher auch an den tollen Zähnen lag, schien sie sich erstaunt zu fragen, warum wir alle noch unsere Sachen anhatten. Sie zog einmal kurz die Brauen zusammen.
    Viel kleiner und zarter als in dem Club wirkte sie, was wohl daran lag, dass sie barfuss war, und gleichzeitig kam sie mir kraftvoller vor. Keine einzige helle Stelle gab es auf der gebräunten Haut, von dem Glitzerstein im Nabel abgesehen, ihre Brüste mit den etwas erhabenen, wie angeschwollen aussehenden Warzenhöfen schaukelten leicht, und einen Moment lang kriegte ich den Mund nicht zu. Doch Lars, der seine Stiefel in die Ecke gekickt hatte, schälte seelenruhig Mandarinen. »Ich find’s ein bisschen frisch«, sagte sie und nahm mir das Glas aus der Hand. »Könnte man die Heizung höher drehen? Hab’s im Bad schon versucht, aber das Ding bleibt lau.«
    Am Zentralschalter lag das, der nur auf siebzehn Grad stand, wenn das Haus nicht bewohnt war, und als ich durch den Treppenflur in den Keller stieg – ich machte kein Licht, der Schnee am Strand war hell genug –, schlug plötzlich die Glocke auf der Schifferkirche, ein einzelner Ton, wahrscheinlich vom Wind ausgelöst, und drei Marderhunde trabten ein Stück weit über die leere Straße. Die fanden es richtig gut, dass geräumt war.
    Im Wäschekeller blinkte das Licht an einem Trockner. Ich öffnete die Stahltür zum Heizungsraum, der auch das Büro meiner Mutter war, und verstellte den Thermostat. Auf dem kleinen Tisch unter den Ferienplänen von Deutschland, Dänemark und Schweden lagen ihre Kladden und der Schlüsselbund. Den Anhänger hatte ich ihr mal geschenkt, Bernsteine vom Nordstrand, und ich zog einen der Stifte aus dem Becher neben dem Telefon und lief wieder hinauf, wobei ich immer zwei oder drei Stufen auf einmal nahm.
    Meine Kondition kannst du echt vergessen; ich keuchte fast, als ich die Tür aufschloss. Der Kronleuchter war ausgeschaltet, die Anlage stumm,

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