Shanghai Love Story
ja Zeit gelassen«, schnauzte Anna Laurent an, als er in ihrem Apartment eintraf. »Komm, gehen wir. Mein Vater kommt nach dem Mittagessen zurück.«
»Tja, es sieht so aus, als wäre meine Warnung, dich nicht mit Chenxi einzulassen, zu spät gekommen.« Laurent lächelte, als sie in den Fahrstuhl stiegen. »Ich nehme doch mal an, dass Chenxi derjenige ist, der daran beteiligt war, oder?«
Anna kochte vor Wut. Sie hatte sich schon gedacht, dass sie ihren Teil an Hohn und Spott abbekommen würde, aber sie hatte gehofft, dass er zumindest etwas Mitgefühl für ihre Situation aufbringen würde. »Denkst du, du könntest deine Vorträge für heute mal sein lassen?«, seufzte sie gereizt. »Ich habe dich um Hilfe gebeten, nicht um deine guten Ratschläge, okay? Und das Ganze hat überhaupt nichts mit dir zu tun.«
»Vielleicht bist du gar nicht schwanger«, sagte Laurent.
»Hör zu, ich bin vielleicht nur eine Frau«, sagte Anna, »aber wenigstens in dieser Beziehung solltest du mir eine gewisse Kenntnis zugestehen, die du ausnahmsweise nicht hast, meinst du nicht auch?«
Die Fahrstuhltür öffnete sich und Anna trat zuerst über die Schwelle. »Oh-oh, die Schwangerschaft bekommt dir aber gar nicht!«, murmelte Laurent hinter ihrem Rücken.
In zornigem Schweigen fuhren sie Seite an Seite zur Geburtsklinik.
Am Eingang nahm Laurent kurz Annas Hand. »Bitte, Anna«, sagte er.
Sie drehte sich zu ihm um.
»Triff keine überhastete Entscheidung, ja? Ich meine wegen der Abtreibung, wenn es das ist, was du willst.« Errötend schaute er zur Seite. »Ich hatte vor zwei Jahren eine spanische Freundin, die schwanger wurde. Sie hat hier eine Abtreibung durchführen lassen, und die Ãrzte haben sie völlig kaputt gemacht. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Sie kann keine Kinder mehr bekommen. Es liegt daran, dass man in China nur ein Kind bekommen darf. Den Ãrzten wird nur beigebracht, alles zu entfernen, damit die Frau nicht mehr schwanger werden kann. Ich will nicht, dass dir das Gleiche passiert. Es wäre besser, du würdest es in Australien machen lassen. Lass hier nur den Test machen. Finde heraus, wie weit du bist. Tu so, als ob du das Baby behalten wolltest. Nur für heute, okay? Du kannst immer noch wiederkommen, wenn du deine Meinung geändert hast.«
Anna starrte Laurent an. Sie nickte, gerührt von seiner unvermuteten Sorge um sie, und er drehte sich, peinlich berührt, von ihr weg.
Eine Frau schaute aus dem Wachhäuschen am Eingang zur Klinik. Sie verteilte Tickets, die den Neuankömmlingen den Eintritt in das entsprechende Gebäude gestattete. » Ni yao bu yao? Wollen Sie es oder nicht?«, fragte sie Laurent und Anna.
»Sie will es«, antwortete Laurent.
Die Frau reichte Anna ein gelbes Ticket. »Will es. Haus Nr. 2. Das dort drüben. Gehen Sie rein und stellen Sie sich am ersten Fenster an, um zu bezahlen.«
Anna ging mit Laurent an dem Beet voller bunter Pfingstrosen vorbei zu einem fleckigen grauen Gebäude. Die Blumen wurden von einem alten Mann gepflegt, der mit einem Rechen in der Hand dastand, als wollte er sie beschützen. Er starrte die Ausländer an.
» Ni yao bu yao? Wollen Sie es oder nicht?«, fragte die Schwester hinter dem Schreibtisch. Sie trug einen schmutzig weiÃen Kittel und eine blaue Plastikhaube auf dem Kopf. Eine weiÃe Zinnschüssel, auf deren Boden ein paar Reisklumpen klebten, stand auf einem Dokumentenhaufen neben ihr, den Fetträndern auf den Papieren nach zu urteilen schon eine ganze Weile. Die Frau hinter Anna reckte den Hals, um ihr über die Schulter zu schauen, um die Ausländer zu betrachten, um herauszufinden, ob sie Chinesisch sprachen und was sie sagten.
»Sie will es.«
»Wie alt ist sie?«, kläffte die Schwester Laurent an.
Laurent fragte Anna.
»Achtzehn«, erwiderte sie.
Laurent wirkte überrascht.
» Ayia! Sie ist viel zu jung! Sie ist ja selbst noch ein Baby!«
Laurent übersetzte für Anna, die energisch erwiderte: »Nein, bin ich nicht! Viele Mädchen in meinem Alter bekommen ein Kind!«
Die Schwester schüttelte den Kopf, während sie das Geld nachzählte und Anna einen durchsichtigen Plastikchip mit einem roten chinesischen Schriftzeichen darauf gab.
»Warten Sie in dem Zimmer da drüben. Geben Sie den Chip dem Arzt.«
In dem Wartezimmer standen
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