Shannara I
nur vorstellen, daß vielleicht das Ungeheuer selbst sie entdeckt, ihren Sinn begriffen und sie entfernt hatte. Er schüttelte den Kopf über seine Dummheit und stapfte weiter.
Sie erreichten den Talrand und liefen weiter durch die Wälder, die sich in alle Richtungen erstreckten. Der Pfad wurde wieder schmal und zwang sie, mit den Bahren hintereinander zu gehen. Der Nachmittagshimmel färbte sich rot, der Tag ging zu Ende. Höndel schätzte, daß ihnen kaum noch eine Stunde Tageslicht blieb. Er wußte nicht, wie weit sie vom Jade-Paß noch entfernt waren, neigte aber zu der Annahme, daß es nicht mehr weit sein konnte. Sie wußten alle, daß sie nicht haltmachen würden, sobald es dunkel wurde, daß sie in dieser Nacht auf Schlaf verzichten mußten, wenn sie die Brüder retten wollten. Sie mußten Allanon schnell finden und die beiden Talbewohner behandeln lassen, bevor das Gift seine zerstörende Wirkung tat. Keiner äußerte etwas, niemand fand es notwendig, über die Sache zu sprechen. Es gab nur eine Wahl, und sie nahmen sie an.
Als die Sonne eine Stunde später im Westen hinter den Bergen versank, waren die Arme der Bahrenträger steif und gefühllos. Balinor ordnete eine kurze Rast an, und die Männer sanken keuchend auf den Boden. Höndel überließ seine führende Position für die Nacht Dayel, der offenbar am meisten erschöpft war vom Schleppen der Bahre. Die Brüder waren nach wie vor bewußtlos, ihre Gesichter schimmerten aschfahl im verblassenden Licht und waren von dünnen kleinen Schweißtropfen bedeckt. Höndel tastete nach ihrem Puls und konnte in den schlaffen Armen nur noch schwache Lebenszeichen wahrnehmen. Menion lief neben der Gruppe auf und ab und drohte Rache gegen alles, was ihm in den Sinn kam.
Nach kurzen zehn Minuten wurde der Marsch fortgesetzt. Die Sonne war untergegangen, und sie marschierten in der Dunkelheit, die nur vom Sternenlicht und einer ganz dünnen Mondsichel erhellt wurde. Auf dem gewundenen und unebenen Weg kamen sie nur langsam voran. Höndel hatte Dayels Platz an Flicks Tragbahre übernommen, während der Elf seine hochentwickelten Sinne benutzte, um in der Dunkelheit den Weg zu finden. Der Zwerg dachte wehmütig an die Stoffstreifen, die Allanon zu hinterlassen versprochen hatte. Unterwegs, während seine Arme die Last der Bahre noch nicht spürten, sah er beinahe zerstreut zu zwei hohen Gipfeln hinüber, die links von ihm aufragten. Es dauerte einige Minuten, bis er schlagartig begriff, daß er den Zugang zum Jade-Paß vor sich hatte.
Im selben Augenblick teilte Dayel den anderen mit, daß der Weg sich vor ihnen in drei Fortsetzungen teilte. Höndel erwiderte sofort, daß sie die linke Abzweigung zum Paß nehmen mußten. Ohne Pause liefen sie weiter. Der Weg führte sie hinaus aus den Bergen zu den beiden Gipfeln. Als sie erkannten, daß das Ziel nahe war, marschierten sie in ihrer Erleichterung schneller, mit neuer Kraft, genährt von der Erwartung, daß sie Allanon treffen würden. Shea und Flick lagen nicht mehr regungslos auf den Bahren, sondern begannen zu zucken und sich unter den festgeschnürten Decken hin- und her zu werfen. In den vergifteten Körpern fand ein Kampf statt zwischen dem zugreifenden Tod und dem starken Lebenswillen. Ihre Körper hatten die Abwehr noch nicht aufgegeben. Balinor wandte sich den anderen zu und sah, dass sie starr auf ein Licht blickten, das am schwarzen Horizont zwischen den beiden Gipfeln blinkte. Dann hörten ihre Ohren das ferne Geräusch eines dröhnenden Stampfens und ein Stimmengesumm aus der Richtung, in der das Licht leuchtete. Balinor befahl weiterzumarschieren, aber er wies Dayel gleichzeitig an, vorauszueilen und die Augen offenzuhalten.
»Was ist das?« fragte Menion.
»Aus dieser Entfernung bin ich nicht sicher«, erwiderte Durin. »Hört sich wie Trommeln und singende Männer an.«
»Gnome«, sagte Höndel düster.
Nach einer weiteren Stunde waren sie nahe genug, um zu erkennen, daß der Lichtschein von Hunderten kleiner Feuer herrührte und das Geräusch wirklich von Dutzenden von Trommeln und vielen, vielen singenden Männern stammte. Die Laute waren inzwischen ohrenbetäubend laut geworden. Die beiden Spitzen am Jade-Paß ragten vor ihnen auf wie Eingangssäulen. Wenn die singenden und trommelnden Leute Gnomen waren, würden sie in das mit einem Tabu belegte Land keine Posten schicken, dachte Balinor, also mußte ihre Gruppe einigermaßen in Sicherheit sein, bis sie den Paß erreichte. Das Dröhnen der
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