Shannara IV
trug, und lockerte die Schnur. Vorsichtig faßte er hinein und holte eine Handvoll schwarzes Pulver heraus, in das Silberstaub gemischt war. Nach kurzem Zögern warf er es über das Wasser.
Das Pulver explodierte in der Luft und verbreitete ein unnatürliches Licht, das die Nacht um ihn herum wieder zum Tag werden ließ. Er spürte keine Wärme, sah nur Licht. Es flimmerte und tanzte in der Dunkelheit wie ein lebendiges Wesen. Der alte Mann stand da und schaute, hielt Gewand und Decke eng um sich geschlungen, und in seinen Augen spiegelte sich das Leuchten. Er wiegte sich leise vor und zurück und fühlte sich einen Augenblick lang wieder jung.
Plötzlich trat ein Schatten in das Licht, lautlos wie ein Geist, eine schwarze Gestalt, die sich ebenso gut aus der dahinterliegenden Finsternis verirrt haben konnte. Aber der alte Mann wußte es besser. Diese Gestalt hatte sich nicht verirrt, sondern war gerufen worden. Langsam nahm sie deutlichere Konturen an. Es waren die Umrisse eines Mannes, ganz in Schwarz gehüllt, eine große und bedrohliche Erscheinung, die jeder, der sie irgendwann zu Gesicht bekommen hatte, sofort wiedererkannt hätte.
»Also du, Allanon«, flüsterte der alte Mann.
Das verhüllte Haupt neigte sich zurück, so daß die dunklen, harten Züge klar zum Vorschein kamen - das eckige bärtige Gesicht, die lange Nase und der Mund, die drohenden Brauen, die wie aus Eisen gegossen wirkten, die darunterliegenden Augen, die in die Seele zu schauen schienen. Die Augen fixierten den alten Mann und hielten ihn fest.
»Ich brauche dich«, glaubte der Alte zu hören. Fast wie ein Flüstern nahm er die Stimme wahr und spürte, daß Unzufriedenheit und Ungeduld von ihr ausgingen. Der Schatten teilte sich ihm nur über die Gedanken mit. Der alte Mann wich einen Augenblick zurück und wünschte, daß diese Erscheinung, die er gerufen hatte, nicht mehr da sein möge. Doch dann faßte er sich wieder und sah seiner Angst beherzt ins Auge. »Ich gehöre nicht mehr zu euch!« gab er bissig zurück, während sich seine Augen gefährlich verengten, und vergaß dabei, daß es unnötig war, laut zu sprechen. »Du kannst mir nicht befehlen!«
»Ich befehle nicht. Ich bitte. Hör mir zu. Du bist der einzige, der noch übrig ist, vielleicht so lange der einzige, bis mein Nachfolger bestimmt ist. Verstehst du?«
Der alte Mann lachte nervös. »Verstehen? Wer könnte besser verstehen als ich?«
»Ein Teil von dir wird immer das bleiben, was du früher nie in Frage gestellt hättest. Der Zauber bleibt ein Teil von dir. Immer. Hilf mir. Ich schicke die Träume, aber die Shannara-Kinder antworten nicht. Es muß sie jemand aufsuchen und mit ihnen sprechen, damit sie verstehen. Du.«
»Nein, nicht ich! Ich lebe schon seit Jahren nicht mehr bei den Rassen, und ich möchte nichts mit ihren Schwierigkeiten zu tun haben!« Der alte Mann richtete sich auf und runzelte die Stirn. »Ich habe mich schon vor langer Zeit von diesem Unsinn freigemacht.«
Der Schatten schien in die Höhe zu schweben und vor seinen Augen plötzlich größer zu werden, und auch er fühlte, wie sich sein Körper vom Boden abhob. Er schwang sich empor, hinein in die Nacht. Er wehrte sich nicht, nahm jedoch all seinen Willen zusammen, obwohl er spürte, wie der Zorn des anderen gleich einem schwarzen Fluß durch ihn hindurchströmte. Die Stimme des Schattens erinnerte an den Klang von Knochen, die zermahlen werden.
»Sieh hin!«
Die Vier Länder erschienen vor seinen Augen. Wie ein Gemälde breiteten sich Wiesen, Berge, Hügel, Seen, Wälder und Flüsse vor ihm aus, im Sonnenlicht farbig leuchtende Flecken der Erde. Er hielt den Atem an, als er das Bild so deutlich und aus so großer Höhe sah, obwohl er wußte, daß alles nur eine Vision war. Aber das Sonnenlicht begann fast augenblicklich zu schwinden, die Farben zu verblassen. Dunkelheit umfing ihn, Dunkelheit, in die sich düsterer grauer Nebel und schwefelhaltige Asche mischten, die aus ausgebrannten Kratern aufstieg. Das Land verlor seine Eigenart und wurde öd und leer. Er spürte, wie er sich darauf zubewegte; nur mit Widerwillen näherte er sich diesem Anblick und Geruch. Menschliche Wesen zogen in Scharen durch dieses verwüstete Land, mehr Tier als Mensch. Sie zerrten und rissen aneinander, sie schrien und kreischten. Dunkle Gestalten huschten um sie herum, körperlose Schatten mit Augen aus Feuer. Die Schatten bewegten sich zwischen den menschlichen Wesen, berührten sie, wurden eins mit ihnen
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