Shannara V
taub für ihn. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf das Mädchen konzentriert. Walker schaute sich zu Dees um, sah das Beben der Gebäude, an denen der Malmschlund vorbeiraste, der schon wieder ein Stück näher herangekommen war und dessen Schatten sich vor dem grauen Himmel abzeichnete. Walker glaubte nicht, daß sie ihm entkommen würden. Er konnte nicht umhin zu denken, durch welche Ironie des Schicksals sie für etwas sterben würden, das sie gar nicht mehr in ihrem Besitz hatten.
Während ihrer Flucht zog die Zeit sich unendlich in die Länge, reduziert auf das Trommeln ihrer Stiefel auf dem Stein. Die Wellen brachen sich an den Ufern der Landenge zu beiden Seiten, und die Gischt sprühte über ihre erhitzten Gesichter. Der Fels wurde glitschig, und sie stolperten und rutschten immer wieder aus. Die Wolken wurden finster, und es fing wieder an zu regnen. Walker dachte wieder an den Ausdruck in Pe Ells Gesicht, als er Quickening erstochen hatte. Er überdachte seine frühere Annahme. Was er dort gesehen hatte, war Verblüffung gewesen. Pe Ell war noch nicht bereit gewesen, sie sterben zu lassen. Hatte er überhaupt vorgehabt, den Stiehl zu benutzen? Irgend etwas an den Gesten der beiden im Augenblick vor dem Dolchstich war seltsam. Warum war Quickening nicht einfach fortgerannt? Sie hatte sich doch von ihm befreit, aber sie war zu ihm zurückgekehrt. In die Klinge? Absichtlich? Hatte sie mehr getan, als nur dazustehen und zu warten? Hatte sie sich tatsächlich in Pe Ells Klinge gestürzt?
Seine wirren Gedanken schienen zu kristallisieren und zu Eis zu erstarren. Himmel noch mal! War das der Grund, warum Pe Ell aufgefordert worden war, mitzukommen? Pe Ell, der Mörder mit der magischen Waffe, einer Magie, der nichts standhalten konnte - war das der Grund für seine Teilnahme?
Weiter vorn hatte Morgan Leah den Fuß der Klippen und den Pfad, der von der Landenge hinaufführte, erreicht. Ohne langsamer zu werden, begann er den Aufstieg.
Hinter ihnen tauchte der Malmschlund auf. Sein gewaltiger Schädel brach zwischen den Häuserruinen hervor, witterte und schoß dann weiter voran. Er schleimte sich zwischen den Mauern der Stadt hindurch, als hätte er keine Knochen. Sein unförmiger Leib füllte die ganze Landenge. Der riesige Koloß schob sich immer näher.
Walker stolperte den Pfad auf die Klippen hinauf, Horner Dees war noch immer ein Stück weiter hinter ihm. Er verdrängte seine Gedanken an Pe Ell und Quickening. Sie erschienen ihm allzu abwegig. Warum sollte Quickening wollen, daß Pe Ell sie tötete? Warum sollte sie sterben wollen? Er sah keine Veranlassung dafür. Er versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er tun konnte, um den Malmschlund aufzuhalten. Er warf wieder einen Blick zurück und sah das massige, schneckenartige Tier über den Fels robben. Konnte er die Landenge unter ihm einstürzen lassen? Nein, der Felsen war zu tief. Die Klippen auf ihn drauf? Nein, er würde sich einfach darunter durchwinden. Wasser würde ihn behindern, aber alles Wasser war hinter ihnen im Gezeitenstrom. Keine von Walkers Magien, nicht einmal Coglines, waren stark genug, den Malmschlund aufzuhalten. Flucht war ihre einzige Chance, und lange würden sie nicht mehr davonlaufen können.
Er gelangte auf die Höhe der Klippen, wo Morgan Leah wartete. Der Hochländer kniete um Atem ringend auf dem Felsvorsprung, von dem aus man die Landenge und Eldwist überblickte. Er beugte sich über Quickening, die mit offenen, wachen Augen in seinen Armen lag. Walker eilte zu ihnen. Quickenings Gesicht war kreidebleich.
Morgan Leah schaute zu ihm auf. »Sie will ihre Magie nicht benutzen«, wisperte er fassungslos.
Walker kniete sich neben sie. »Rette dich selbst, Quickening. Es steht in deiner Macht.«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre schwarzen Augen glänzten, als sie Morgans Blick suchten. »Hör mich an«, sagte sie leise und mit ruhiger Stimme. »Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben, und ich werde bei dir sein. Vergiß es nicht. Und vergiß auch nicht, daß ich die Dinge ändern würde, wenn ich es könnte. Leg mich jetzt nieder und steh auf.«
Morgan schüttelte den Kopf. »Nein, ich will bei dir bleiben …«
Sie berührte seine Wange mit der Hand, und er verstummte. Wortlos legte er sie auf den Boden und trat zurück. Tränen rannen ihm über das Gesicht.
»Nimm dein Schwert, Morgan, und steche es in den Boden. Jetzt.«
Morgan zog das Schwert von Leah, packte es mit beiden Händen und rammte es in den Felsen.
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