Shannara V
Schließlich sagte Morgan Leah langsam und bedächtig: »Sei nicht dumm, Pe Ell. Du kannst uns nicht allen entkommen. Gib sie frei.«
Was dann passierte, war nie ganz klar. Es gab eine Art Explosion von zersplittertem Gestein, als der Malmschlund irgendwo in der Stadt nahe der Kuppel, in der der Steinkönig sich versteckte, aus dem Boden hervorbrach und zwischen den Häusern himmelwärts schoß. Das Monster stieg vor dem diesigen Nebel wie ein aufgedunsener Wurm in die Höhe und schnaufte, als schnappe es nach Luft, als sei ihm der Atem weggeblieben. Pe Ell schrak zusammen, fühlte, wie der Boden so heftig bebte, als würde ganz Eldwist auseinandergerissen.
In dem Augenblick befreite sich Quickening, schlüpfte aus seiner Umklammerung, als sei sie nichts als Luft. Sie wandte sich zu ihm um, rannte nicht davon, sondern blieb direkt vor ihm stehen, und ihre Hände packten den Arm, der den Stiehl umklammerte. Ihre schwarzen Augen fesselten ihn, als sei er in Ketten gelegt. Er konnte sich nicht bewegen; er stand nur wie angewurzelt da. Er sah die Symmetrie ihres Gesichts und ihres Körpers, als nehme er sie zum ersten Mal wahr; er bewunderte ihre Perfektion, ihre Schönheit, die nicht nur an der Oberfläche ihrer wunderbaren Gestalt lag, sondern bis in die tiefsten Tiefen reichte. Er fühlte, wie sie sich auf ihn zu bewegte - oder war er es? Was geschah? Er sah, wie sich ihr Mund voller Überraschung, Schmerz und Erleichterung öffnete.
Da schaute er hinunter und sah, daß der Stiehl bis zum Heft in ihrem Leib steckte, daß die Klinge in ihren Körper gedrungen war. Er konnte sich nicht erinnern, sie erstochen zu haben, aber irgendwie war es geschehen. Verwirrung und Fassungslosigkeit übermannten ihn. Wie war das passiert? Was war mit seinem Plan, sie zu töten, wo und wann er wollte? Was war mit seiner Absicht, den Augenblick ihres Sterbens voll auszukosten? Er schaute hastig in ihre Augen, hoffend, er könne einen Blick auf das erhaschen, was dort gefangen war und jetzt freigesetzt würde, begierig, ihre Magie einzufangen. Er schaute, und was er sah, erfüllte ihn mit Grauen.
Pe Ell schrie. Und als wolle er verbergen, was er entdeckt hatte, stach er wieder und wieder zu, jedesmal mit dem vergeblichen, wahnsinnigen Versuch zu leugnen, was er sah. Quickenings Körper zuckte jedesmal, doch ihr Blick blieb fest, und die Visionen, die aus ihren Augen strahlten, blieben unverändert.
Pe Ell verstand schließlich, und mit dem Verstehen kam das Entsetzen, gegen das er sich nicht wehren konnte. Seine Gedanken brachen zusammen und stürzten in einen Sumpf der Verzweiflung. Er riß sich von dem Mädchen los und sah zu, wie sie langsam zu Boden sank, ohne daß ihre Augen ihn losließen. Er war sich bewußt, daß Morgan wütend brüllte, daß Walker Boh herbeigerannt kam und daß Horner Dees von hinten auf ihn zuraste. Sie waren unwichtig. Nur das Mädchen zählte. Er wich zurück, zitterte unter einer Kälte, die ihn an Ort und Stelle festzufrieren drohte. Alles, was er erhofft hatte, war ihm genommen worden. Alles, was er sich ersehnt hatte, war verloren.
Was habe ich getan?
Er wirbelte herum und begann zu rennen. Die eisige Kälte wurde plötzlich zu Feuer, aber die Worte summten in seinem Kopf herum, ein Hornissennest mit spitzen, gierigen Stacheln.
Was habe ich getan?
Er schoß mit einer Geschwindigkeit, die aus Angst und Verzweiflung geboren war, an Horner Dees vorbei, und er war so schnell an ihm vorbei, daß der alte Fährtensucher keine Gelegenheit hatte, ihn abzufangen. Die steinerne Straße bebte und wackelte und war glitschig vom Regen, doch nichts konnte seine Flucht mehr bremsen. Diesiggraues Dämmerlicht umfing ihn wie ein freudloser Umhang, und er schrumpfte zu einer winzigen Gestalt zwischen den alten Häusern der Stadt zusammen, ein Fünkchen Leben, gefangen in einem Netz von Magie, weit älter und weit grausamer als seine eigene. Er sah Quickenings Gesicht vor sich. Er fühlte ihren Blick, als der Stiehl in ihren Körper drang. Er hörte ihren Seufzer der Erleichterung.
Pe Ell flüchtete aus Eldwist wie ein Besessener.
Kapitel 31
Morgan Leah war als erster bei Quickening. Er riß sich mit einer Kraft los, die den Einarmigen überraschte, rannte über den Platz, als sie auf den Stein stürzte, und fing sie auf, noch ehe sie am Boden war. Kniend hielt er sie im Arm, drückte ihr aschfahles Gesicht an seine Brust und flüsterte wieder und wieder ihren Namen.
Walker Boh und Horner Dees eilten aus
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