Shannara V
sich die Hand öffnete. Sie fuhr durch die Luft wie ein Messerregen, schnitt die schwarzen Wesen auseinander und verwandelte sie in Staub, bevor ihre Schreie noch ganz verklungen waren. Wren war sofort wieder frei. Sie richtete sich taumelnd auf, streckte die Elfensteine vor, und Feuer und Licht drängten jetzt aus ihr heraus und vereinten sich mit der Magie, bis kein Unterschied mehr erkennbar war. Sie warf den Kopf zurück, als die Magie durch sie hindurchfuhr - hart, herausfordernd und heiter. Sie veränderte sich und ihre Ängste, was als Folge des Gebrauchs der Magie aus ihr werden würde, zerstreuten sich und waren vorbei. Es war unwichtig, wer oder was sie gewesen war oder wie sie ihr Leben gelebt hatte. Die Magie war alles. Die Magie war alles, was zählte.
Sie lenkte die Kraft der Magie auf die Masse der Körper auf Garth, und dort schlug sie ein. Sie lösten sich in Sekundenschnelle auf. Einige widerstanden der Wucht des Angriffs einige Augenblicke länger als die anderen, jene nämlich, die größer und fester waren, aber schließlich starben sie alle. Garth erhob sich blutüberströmt. Seine Kleider hingen in Fetzen, und sein dunkles, bärtiges Gesicht war aschfahl. Worauf starrte er nur, fragte sie sich vage. Sie wunderte sich über seinen Gesichtsausdruck, als sie die Macht der Steine einsetzte, um die Landschaft leerzufegen. Die Eule tauchte wieder aus dem Dunst auf, und auch auf seinem ledrigen Gesicht wurde Ehrfurcht sichtbar. Und Angst. Sie hatten beide so große Angst…
Plötzlich verstand sie es. Sie schloß erschreckt ihre Finger, und die Magie war fort. Die Heiterkeit und das Feuer verließen sie, fielen im Handumdrehen von ihr ab, und es war, als hätte man sie nackt ausgezogen und hingestellt, damit jedermann sie sehen könnte. Müdigkeit durchflutete sie und sie fühlte sich beschämt. Die Magie hatte sie gefangen und hatte sie für sich eingenommen. Sie hatte ihren Vorsatz, ihrem Zauber zu widerstehen, zerstört und all ihre Versprechen begraben, daß sie sie nicht zulassen würde und daß sie nicht eine weitere Ohmsford werden würde, die sie beanspruchte.
Aber sie hatte ihre Macht nun doch gebraucht. Hatte sie sie nicht am Leben erhalten - sie alle am Leben erhalten? Hatte sie sie nicht gewollt, sie nicht sogar genossen? Was sonst hätte sie tun können?
Garth war neben ihr, hatte sie an den Schultern gefaßt und hielt sie aufrecht. Seine dunklen Augen hatte er intensiv in ihre eigenen versenkt. Sie bestätigte mit einem vagen Nicken, daß sie sich seiner Gegenwart bewußt war und daß es ihr gutging. Aber das stimmte natürlich nicht. Die Eule war auch da und sagte: »Wren, du bist diejenige, auf die sie gewartet hat, diejenige, die versprochen war. Du bist wirklich willkommen. Komm jetzt schnell, bevor sich die dunklen Wesen wieder formieren und erneut angreifen. Beeile dich!«
Sie schwieg und folgte ihm gehorsam. Ihr Körper war ein fremdes Ding, das sie vorwärts trug, wobei sie ihn von irgendwo außerhalb beobachtete. Hitze und Erschöpfung quälten sie, aber sie fühlte sich wie losgelöst davon. Sie sah die Landschaft in den Nebel zurücksinken, durch den jetzt eine seltsame Schar von Schatten schwebte. Bäume erhoben sich blattlos und kahl in Gruppen himmelwärts wie brüchige Stiele, die bald zerfallen würden. Vor ihnen lag die Stadt der Elfen, glitzernd wie etwas, das hinter einem regenüberströmten Fenster gefangen ist. Sie ähnelte einem juwelenbesetzten Schatz, der vor Versprechen und Hoffnung schimmerte.
Eine Lüge. Dieser Gedanke traf sie plötzlich. Er war widersinnig, und doch war sie von der Intensität des Gedankens überrascht. Alles ist Lüge. Endlich hatte die Eule sie durch ein Gewirr von Gestrüpp und einen engen Hohlweg hinuntergeführt, in dem die Schatten so dicht lagen, daß es so gut wie unmöglich war, etwas zu erkennen. Er kauerte sich auf den Boden, machte sich an einem Haufen von Felsbrocken zu schaffen und öffnete eine Falltür. Schnell kletterten sie hinein. Die Luft war heiß und stickig. Der Elf faßte nach oben, zog die Falltür wieder an ihren Platz und sicherte sie. Die Dunkelheit hielt nur einen Moment an, und dann war durch den Tunnel, der vor ihnen lag, ein Schimmer des seltsamen Lichts der Stadt zu sehen. Die Eule führte sie hindurch. Er bewegte sich wortlos, mager und schattenhaft vor dem schwachen Schimmern der Helligkeit. Wren spürte, daß das Gefühl der Losgelöstheit allmählich nachließ. Sie war wieder in sich selbst. Sie war
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