Shannara V
sie fast vergänglich schienen.
Wrens Augen irrten von einem Punkt zum anderen. Sie sah in gut gepflegten Höfen angelegte Blumengärten, Hecken, die Spazierwege säumten, und Straßenlampen aus sorgfältig verarbeitetem Eisen. Es gab Pferde, Kühe, Hühner und alle Arten von Tieren in Gehegen und Scheunen. Es gab Hunde, die sich in den Eingängen zum Schlafen zusammengerollt hatten, und Katzen auf Fensterbänken. Es gab über Eingängen farbige Flaggen und Schirme. Markisen hingen über Schaufenstern und Marktkarren. Die Häuser und Geschäfte waren weiß und sauber, umgeben von frisch gestrichenen Zäunen in unzähligen Farben. Sie konnte natürlich nicht alles sehen, sondern nur den Teil der Stadt, der in der Nähe lag. Und doch konnte kein Zweifel daran bestehen, wo sie war oder welche Gefühle in ihr hervorgerufen wurden.
Zu Hause.
Aber genauso schnell, wie sie voller Freude Vertrautheit und das Gefühl der Zugehörigkeit gespürt hatte, verschwand beides auch wieder. Wie konnte sie sich an einem Ort heimisch fühlen, an dem sie nie zuvor gewesen war, den sie nie zuvor gesehen hatte und über dessen Existenz sie sich bis zu diesem Augenblick nicht sicher gewesen war?
Die Vision wurde schwächer und schien in die Schatten der Nacht zurückzuweichen, als wollte sie sich verbergen. Sie sah, was sie zuvor übersehen hatte - oder was sie in ihrer Aufregung nicht hatte sehen wollen. Die Mauern wimmelten von Elfen in Kampfkleidung mit Waffen in der Hand, und ihre Verteidigungslinien erstreckten sich über die Festungsmauern. Ein Angriff wurde gerade zurückgeschlagen. Der Kampf vollzog sich seltsam ruhig, als habe der Schein der Magie die Geräusche irgendwie gedämpft. Männer fielen. Einige erhoben sich wieder, und einige verschwanden. Auch die Schatten, die angriffen, erlitten Verluste. Einige wurden von dem Licht verbrannt, daß die Funken sprühten und zischten, wie es vielleicht ein verlöschendes Feuer getan hätte, andere wurden von den Verteidigern zurückgeschlagen. Wren blinzelte. Innerhalb ihrer Mauern erschien ihr die Stadt der Elfen auf einmal weniger strahlend und ein wenig heruntergekommen. Die Häuser und Geschäfte waren ein wenig dunkler und auch weniger gut gepflegt, als sie zuerst gedacht hatte, die Bäume und Büsche waren nicht so üppig und die Blumen blasser. Die Luft, die sie atmete, war alles in allem doch nicht so rein - da war ein Hauch von Schwefel und Asche. Hinter der Stadt ragte Killeshan dunkel und drohend auf, und sein Krater glühte blutrot vor dem Nachthimmel.
Sie wurde sich plötzlich der Elfensteine bewußt, die sie noch immer fest umklammert hielt. Ohne auf sie hinabzusehen, ließ sie sie in ihre Tasche gleiten.
»Hier entlang, Wren«, sagte Aurin Striate.
Es gab Wachen an der Tür, durch die sie hereingekommen waren, junge Männer mit harten Gesichtern, entschieden elfischen Zügen und Augen, die müde und alt wirkten. Wren schaute sie an, als sie vorbeiging, und fröstelte. Es war die Art, wie sie sie anschauten. Garth trat dicht neben sie und verdeckte so deren Sicht.
Die Eule führte sie unter den Festungsmauern heraus und über eine ansteigende Rampe über einen Graben, der die Stadt innerhalb ihrer Mauern umschloß. Wren schaute zurück und blinzelte gegen das Licht. Es war kein Wasser in dem Graben. Es schien keinen Sinn zu ergeben, daß man ihn ausgehoben hatte. Er war jedoch eindeutig als eine Art Verteidigungsanlage für die Stadt gedacht. An Dutzenden von Stellen war er von Rampen überspannt, die zu den Mauern führten. Wren sah Garth fragend an, aber der große Mann schüttelte den Kopf.
Ein Weg wurde vor ihnen zwischen den Bäumen sichtbar, der sich ins Zentrum der Stadt wand. Sie begannen, ihn hinabzugehen, waren aber nur ein kurzes Stück weit gekommen, als ein großer Trupp Soldaten vorbeieilte. Er wurde von einem Mann mit so sonnengebleichtem Haar geführt, daß es fast weiß wirkte. Die Eule zog Wren und Garth in die Schatten, und der Mann ging vorbei, ohne sie zu sehen.
»Phaeton«, sagte die Eule und schaute ihm nach. »Der Gesalbte der Königin auf dem Schlachtfeld, ihr Erretter vor den dunklen Wesen.« Er sagte es ironisch und lächelte nicht. »Der schlimmste Alptraum eines Elfenjägers.«
Sie gingen schweigend weiter und wandten sich bald von dem Weg ab, um verschiedenen Seitenstraßen zu folgen, die sie durch Reihen von verdunkelten Geschäften und Hütten führten. Wren sah sich neugierig um. Sie beobachtete, überlegte und nahm alles in sich
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