Shannara VIII
erst gar keine Antwort. Stattdessen griff er in die Tasche, zog den Beutel mit den Elfensteinen hervor und reichte sie seinem Bruder. Kylen brauchte einen Augenblick, bis er die Schnur entknotet und die Steine in seine Hand geschüttet hatte. Wortlos betrachtete er die blauen Facetten, und in seinen Augen leuchtete unverkennbare Gier.
»Brauchst du mich, um dir zu zeigen, wie man die Magie beschwört?«, fragte Ahren vorsichtig.
Sein Bruder blickte ihn an. »Ich weiß mehr über sie, als du denkst, kleiner Bruder. Ich habe viel Mühe darauf verwendet, es herauszufinden.«
Ahren nickte, obwohl er nicht ganz begriff, war sich aber auch nicht sicher, ob er das wirklich wollte. »Dann werde ich mich mal aufmachen«, sagte er. »Nachdem ich mir Vorräte beschafft habe, werde ich mit denen sprechen, die vielleicht mit nach Paranor kommen.« Er wartete ab, doch Kylen erwiderte nichts, also fügte er hinzu: »Auf Wiedersehen, Kylen.«
Kylen war bereits unterwegs zur Tür und hielt die Elfensteine fest in seiner Hand. Er blieb kurz stehen und sah zurück. »Nimm dir, was immer du brauchst, kleiner Bruder. Und geh, wohin immer du willst. Nur, Ahren, tust du mir einen Gefallen?« Ein Grinsen verzog das hübsche Gesicht. »Komm bitte niemals zurück.« Er ging durch die Tür und schloss sie leise hinter sich.
Es dämmerte an der Küste der Blauen Spalte, wo Hunter Predd auf Obsidian Patrouille flog. Nach seiner Rückkehr hatte er fast ununterbrochen mehrere Tage geschlafen, aber weil er von Natur aus rastlos war, brauchte er nicht mehr Zeit, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen, und bald saß er wieder auf dem Rücken seines Rocks. Nirgendwo anders, nicht einmal in Wing Hove, fühlte er sich so zu Hause; deshalb wollte er immer in die Luft und fliegen.
Es war ein heller, klarer Tag, und er sog die Seeluft tief in sich hinein, den vertrauten Geschmack und Geruch. Die Reise der Jerle Shannara schien ihm schon lange her zu sein, und seine Erinnerungen an die Orte und Menschen verblassten langsam. Hunter Predd lebte nicht gern in der Vergangenheit, und daher hatte er dieses Erlebnis rasch hinter sich gelassen. Die Gegenwart interessierte ihn mehr, das Hier und Jetzt seines Lebens als Flugreiter, die Zeit in der Luft. Vermutlich lag das an seiner Arbeit. Wenn man die Gedanken schweifen ließ, konnte man sich nicht auf das Notwendige konzentrieren.
Kurz suchte er den Horizont nach Luftschiffen ab und dachte, er würde vielleicht eins entdecken, möglicherweise gar das von Redden Alt Mer. Von allen, die mit ihm unterwegs gewesen waren, hatte er den Fahrenden für den Ungewöhnlichsten gehalten. Obwohl er keine Magie oder besonderen Fähigkeiten besaß, war er unverwüstlich, einer, dem nichts etwas anhaben konnte. Der Mann mit dem Glück. Hunter Predd hatte immer noch vor Augen, wie er, auf wundersame Weise ohne einen einzigen Kratzer, mit seinem Einflügler aus dem Rauch der brennenden Flotte des Morgawrs auftauchte. Wenn einen nichts in dieser Welt retten konnte, dachte er, das Glück war dazu in der Lage.
Möwen kreuzten seinen Weg, weißgeflügelte Pfeile vor dem blauen Hintergrund des Wassers. Obsidian stieß eine schrille Warnung aus und zog nach links. Der Rock sah etwas im Wasser treiben, etwas, das sein Reiter übersehen hatte. Hunter Predd richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Arbeit. Jetzt hatte er es auch entdeckt, wie es auf der Brandung tanzte, ein heller bunter Fleck.
Vielleicht war es nur ein Kleidungsstück.
Vielleicht eine Leiche.
Er fühlte, wie sich sein Hals zuschnürte, als er sich an eine Zeit erinnerte, die nun plötzlich gar nicht mehr so weit entfernt war.
Mit Händen und Knien lenkte er den Rock nach unten, um sich die Sache genauer anzusehen.
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