SHANNICE STARR (German Edition)
dass die Fassungslosigkeit ihr den Atem raubte. Es konnte doch unmöglich ein Zufall sein, dass sie ausgerechnet hier eine Nachricht von jenem Mann fand, den sie vor zwei Jahren aus ihrem Leben gestrichen hatte, jenem Mann, der ihr einen Kopfgeldjäger auf den Hals gehetzt hatte und dessen Liebe zu ihr sich in zerstörerischen Hass gewandelt hatte.
Aufgeregt durchwühlte Shannice die Papierfetzen um sich herum nach den fehlenden Stücken und bekam das meiste davon zusammen.
Der Brief war an einen Freund Cassidys gerichtet, einen gewissen Byron Lumax. Der Name sagte Shannice nichts, doch sie war begierig zu erfahren, was Douglas Cassidy ihm mitzuteilen hatte. Wie von selbst fügten sich die Einzelteile des Briefes aneinander, bis Shannice die vollständige Nachricht vor sich liegen hatte:
Mein lieber Freund,
sicher hältst du mich für närrisch, mich an dich zu wenden, wenn du erst zum Kern meines Anliegens vorgestoßen bist, doch in meiner Verzweiflung und tiefen Frustration fand ich keinen Menschen, dem ich mein Innerstes hätte lieber anvertrauen mögen als dir.
In Liebesangelegenheiten magst du mich als relativ unbeschriebenes Blatt sehen, und tatsächlich war ich stets besonnen und zurückhaltend in der Wahl meiner Liebschaften. Umso erstaunlicher scheint es, dass ich mich auf ein Abenteuer einließ und jegliche Vernunft beiseite fegte. Ja, es hat mich überkommen wie ein Sturmwind, dem ich keinen Widerstand entgegenzusetzen vermochte. Sie war ein junges Ding, heimatlos und bedauernswert, aber auch von Anmut und Grazie umgeben, einem Charme, dem ich mich schwerlich entziehen konnte und der mich schließlich überrumpelte.
Verstehe mich bitte nicht falsch. Dieses Mädchen hatte nichts Böses an sich und auch nicht den Versuch unternommen, mich zu umgarnen. Aber es war unzweifelhaft, dass wir uns zueinander hingezogen fühlten und nichts dagegen unternehmen konnten. Ich will offen und ehrlich sein: Mit ihr hatte ich die schönste Zeit meines Lebens, fühlte mich frei und unbeschwert und freute mich auf jeden neuen Tag, weil ich wusste, dass er sie mir erneut schenken würde – diese liebreizende, junge Halbindianerin, deren Name für mich seitdem einen poetischen Klang trägt: Shannice.
Wie konnte sich die wunderbare Zeit mit ihr in eine Erinnerung aus Blut und Chaos verwandeln? Ja, Byron, du hast richtig gelesen: Schönheit hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Und mehr noch! Alles, was ich an liebevollen Erinnerungen in mir trug, ist verbrannt. Mein Herz ist eine Wüste, ein Ort ohne Leben und vor allem ohne Frieden.
Was ist geschehen?
Ich will dich nicht mit Einzelheiten langweilen, mein Freund, zumal sie die Verirrtheit meiner Gedanken und Emotionen weiter verstärken. Doch als ich von einer Geschäftsreise heimkehrte, waren alle, die mir lieb und teuer waren, tot. Und die einzige, die Aufklärung in die Ereignisse hätte bringen können, war verschwunden: Shannice!
Ich war am Boden zerstört, stellte mir tausend Fragen. Und wenn ich glaubte, Antworten gefunden zu haben, warfen diese immer neue Fragen auf.
Warum hatte mich Shannice auf diese schändliche Weise verraten?
Viele Tage war ich unansprechbar, quälte mich auf unaussprechliche Weise, bis ich plötzlich wusste, was ich zu tun hatte. Und auch in diesem Fall will ich mich dir so weit öffnen, wie es mir möglich ist, denn heute, da ich dir diesen Brief schreibe, schäme ich mich abgrundtief für meine aus Hoffnungslosigkeit geborene Entscheidung.
Ich heuerte einen Kopfgeldjäger an, gab ihm viel Geld, damit er mir Shannice zurückbringen sollte. Nur zu dem Zweck, sie für ihre schändliche Tat büßen zu lassen. Doch ich hörte nie wieder etwas von dem Mann und kann nur annehmen, dass ich ein weiteres Mal betrogen wurde. Sicher war auch das eine Strafe, denn wer Böses sät, der erntet Böses.
Ein eigenartiger Zufall ließ mich schließlich die Wahrheit aufdecken. Du kannst dir vorstellen, wie erschüttert ich war, als ich erfuhr, dass Shannice keinerlei Schuld trifft an den grausigen Geschehnissen, die sich in meinem Haus abgespielt hatten.
Die Verzweiflung, aus der ich mich befreit geglaubt hatte, streckte mich erneut mit Macht nieder. Was hatte ich angerichtet? Hatte der Auftragsmörder Shannice möglicherweise getötet? Hatte er mir nun auch noch das Letzte genommen, das mir den Sinn meines zerrütteten Lebens hätte wiedergeben können …?
Nichts war da, was mir Sicherheit hätte geben können. Das Land ist zu groß und zu
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