Sharras Exil - 17
ich muss mit Linnell reden. Sie hat Marius geliebt, und sie weint wieder.« Ich ritt vor und fühlte von neuem das Prickeln im Rücken, als würde ich beobachtet, und ich wusste, von irgendwoher, ob mit einer kleinen Bande von Raufbolden verborgen oder durch die Matrix, behielt Kadarin mich im Auge … Nur weil Regis und Dyan eine Abteilung der Garde und Schwertkämpfer mitgebracht hatten, wagte er es nicht, uns jetzt gleich anzugreifen.
Er hatte Zugang zu terranischen Waffen. Marius war an einer Kugel durchs Herz gestorben. Aber auch dann konnte Kadarin es nicht mit einer ganzen Abteilung Gardisten aufnehmen. Deshalb war ich für den Augenblick sicher. - Vielleicht.
Ich ignorierte das warnende Prickeln und ritt bis zu Linnell vor, um meine Pflegeschwester zu trösten. Linnells Augen waren rot, ihr Gesicht war fleckig, aber sie sah schon wieder viel ruhiger aus. Sie versuchte, mir zuzulächeln.
»Wie dir dein Kopf wehtun muss, Lew - es ist eine schlimme Schnittwunde, nicht wahr? Jeff erzählte mir, er habe sie mit zehn Stichen nähen müssen. Du solltest im Bett liegen.«
»Ich komme schon zurecht, kleine Schwester.« Ich benutzte das Wort Bredilla, als sei sie immer noch ein Kind. Aber Linnell musste jetzt zwei- oder dreiundzwanzig sein. Sie war eine hoch gewachsene, stattliche junge Frau mit weichem braunem Haar und blauen Augen. Ich nehme an, sie war hübsch, aber im Leben jedes Mannes gibt es zwei oder drei Frauen - die Mutter, die Schwestern -, die er einfach nicht als Frauen sieht. Linnell ist mir immer nur die kleine Schwester gewesen. Ihre großen, verständnisvollen Augen erweckten in mir plötzlich den Wunsch, ihr von Dio zu erzählen. Aber ich wollte sie mit dieser schrecklichen Geschichte nicht belasten; sie war immer noch krank vor Trauer um Marius.
Sie sagte: »Wenigstens ist er als volles Mitglied der Comyn mit allen Ehren begraben worden. Sogar Lord Ardais und Regis Hastur waren da.« Ich wollte schon eine bittere Bemerkung machen - was nützt es einem Toten, wenn man ihm Ehre erweist? -, doch dann hielt ich den Mund. Wenn der Gedanke Linnell Trost gab, war ich froh. Das Leben ging weiter.
»Lew, würde es dich sehr kränken, wenn Derik und ich gleich nach dem Fest heirateten?«
»Kränken? Warum, Breda? Ich würde mich für dich freuen.« Diese Heirat lag in der Luft, seit Linnell ihre Puppen weggeräumt hatte. Derik war von langsamem Verstand und nicht gut genug für sie, aber sie liebte ihn, und ich wusste es.
»Aber … ich sollte dann noch trauern … um … um Kennard und um meinen Bruder …«
Ich ließ die Zügel für einen Augenblick los, um unbeholfen zu ihr hinüberzulangen und ihr die Schulter zu klopfen. »Linnell, wenn Vater und Marius irgendwo sind, wo sie es sehen können …« - zwar glaubte ich das nicht, jedenfalls meistens nicht, aber Linnell würde ich das nicht eingestehen »… meinst du, dass ihre Seelen dann auf dein Glück neidisch sein können? Sie haben dich geliebt und würden dich gern glücklich sehen.«
Sie nickte und lächelte mir zu.
»Das hat mir Callina auch gesagt, aber sie ist so unweltlich. Ich möchte nicht, dass die Leute von mir glauben, ich hätte nicht die gebührende Achtung vor ihrem Andenken …«
»Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte ich. »Du brauchst Verwandte und Familie, und jetzt mehr als zuvor. Ohne Pflegevater und Bruder musst du einen Ehemann haben, der sich um dich kümmert und dich liebt. Und wenn irgendwer eine Andeutung macht, du achtetest ihr Andenken nicht, dann schick diesen Menschen zu mir, und ich werde ihm Bescheid stoßen.«
Sie blinzelte die Tränen weg, und ihr Lächeln kam wie ein Regenbogen durch Wolken. »Und du bist jetzt der Lord der Domäne«, meinte sie, »und du hast zu bestimmen, in welcher Form getrauert werden soll. Und Callina ist das Oberhaupt meiner Domäne. Da ihr mir nun beide eure Erlaubnis gegeben habt, werde ich es Derik erzählen. Wir können am Tag nach dem Fest verheiratet werden. Und am Fest selbst wird Callina mit Beltran verlobt …«
Ich starrte sie mit offenem Mund an. War der Rat trotz allem immer noch entschlossen, diese selbstmörderische Wahnsinnsidee durchzuführen?
Ich musste Callina unbedingt sprechen. Für einen Aufschub war keine Zeit mehr.
Andres fragte mich, als wir durch die Tore der Stadt ritten, ob ich mit den Arbeitern reden wolle, die für die Reparatur des Stadthauses gedungen worden waren. Ich wollte protestieren - ich hatte ihm immer widerspruchslos gehorcht , doch da fiel mir
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