Sharras Exil
ihn je verlassen? Callinas Hände lagen immer noch in meiner Hand, aber Ashara war verschwunden. Der Glasthron war leer, und als ich ihn ansah, löste sich auch der Thron in dem Spiegelschimmer des Raums auf. War Ashara überhaupt da gewesen? Mich drehte es, ich konnte mich nicht orientieren. Da sank Callina gegen mich, und ich fing sie auf. Das Gefühl, ihren ohnmächtigen Körper in meinen Armen zu halten, weckte mich. Ihre weichen Gewänder, die Haarspitzen, die meine Hand berührten, elektrisierten jeden Nerv in mir. Ich drückte sie an mich, vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. Sie roch warm und süß. Das war kein Parfüm, kein Duftstoff und kein kosmetisches Mittel, nur der zarte Geruch ihrer Haut, und er verwirrte mir die Sinne. Ich hätte sie gern immer weiter so gehalten, aber sie öffnete die Augen, war sofort wieder voll bei Bewusstsein, richtete sich auf und entzog sich mir. Ich senkte den Kopf. Ich wagte es nicht, sie zu berühren, und würde es gegen ihren Willen niemals tun, doch in diesem Schwindel erregenden Augenblick begehrte ich sie heftiger als je eine Frau zuvor. Lag es nur daran, dass sie Bewahrerin und mir deshalb verboten war? Ich stand wieder allein, mir war kalt, der Kopf tat mir weh, und mein Gesicht war eisig, wo es an ihrem Herzen gelegen hatte. Doch ich hatte die Beherrschung zurückgewonnen. Callina schien sich des Sturms, der in mir tobte, nicht bewusst, immun dagegen zu sein. Natürlich, sie war Bewahrerin, sie hatte gelernt, sich über all dies hinauszuheben, Leidenschaft zu ignorieren …
»Callina«, sagte ich, »Cousine, verzeih mir.«
Ein ganz schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Mach dir keine Gedanken, Lew. Ich wünschte …« Sie ließ den Rest unausgesprochen, aber ich merkte, dass sie von meiner Qual nicht so unberührt war, wie ich geglaubt hatte.
»Ich bin nichts anderes als menschlich.« Wieder tröstete es mich, dass sie in der Art einer Bewahrerin federleicht mein Handgelenk berührte. Es war wie ein Versprechen, aber wir traten voneinander zurück. Wir wussten, zwischen uns musste eine Schranke bleiben.
»Wo ist Ashara?«, erkundigte ich mich.
Callinas kurzes Lächeln verriet Unruhe. »Du solltest mich lieber nicht fragen«, murmelte sie. »Die Antwort würdest du nie glauben.«
Ich runzelte die Stirn, und von neuem belastete mich die unheimliche Ähnlichkeit, die Abgeklärtheit Asharas in Callinas ruhigem Gesicht – ich konnte nur Vermutungen über das Band zwischen den Bewahrerinnen anstellen. Abrupt schritt Callina auf eine unsichtbare Tür zu, und wir standen draußen auf dem festen Steinabsatz. Ich fragte mich, ob der blau-eisige Raum je existiert habe oder ob das Ganze nur ein bizarrer Traum gewesen sei.
Ein Traum, denn in ihm war ich heil gewesen und hatte zwei Hände gehabt …
Etwas war geschehen. Aber ich wusste nicht, was.
Wir kehrten auf einem anderen Weg in den Turm zurück. Callina führte mich durch die Relais-Kammer in den mit seltsamen und geheimnisvollen Artefakten aus dem Zeitalter des Chaos gefüllten Raum. Es war warm. Ich zog meinen Mantel aus und ließ die Hitze in meinen ausgekühlten Körper und meinen schmerzenden Arm einsinken. Callina ging rasch im Laboratorium umher, stellte speziell modulierte Dämpfer ein und wies schließlich auf das breite, schimmernde Glaspaneel, dessen Tiefen mich an den blau-eisigen Raum Asharas denken ließen. Stirnrunzelnd starrte ich hinein. Zauberei? Unbekannte Gesetze, nichtkausale Wissenschaft? Sie vermischten sich und wurden eins. Die Gabe, die ich in meinem Blut trug, das Erbteil, das mich zum Comyn, Telepathen, Laranzu und Matrix-Techniker machte … für Dinge wie diesen Schirm war ich gezüchtet und ausgebildet worden; warum sollte ich sie fürchten? Trotzdem fürchtete ich mich, und Callina wusste es.
Ich war in Arilinn geschult worden, dem ältesten und mächtigsten der Türme, und hatte etwas – nicht viel – über Schirme wie diesen gehört. Es war ein Duplikator – er übertrug ein gewünschtes Muster, er fing Bilder und die dahinter steckenden Realitäten ein – nein, es ist unmöglich, das zu erklären. Über diese Schirme wusste ich nicht genug – und weiß heute noch nicht mehr. Ich hatte keine Ahnung, wie man sie in Betrieb nimmt, aber ich vermutete, Callina wusste es, und ich war nur da, um ihr mit der Alton-Gabe Kraft zu verleihen, wie ich sie – bei dem Gedanken lief es mir eiskalt durch die Adern – eingesetzt hatte, um Sharra heraufzubeschwören. Das war
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