Sherlock Holmes - Der Hund von Baskerville
daß es das beste ist, ohne Zögern nach Devonshire zu reisen. Da ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, die ich vorschlage: Sie sollten auf keinen Fall allein reisen.«
»Dr. Mortimer fährt mit mir zurück.«
»Aber Dr. Mortimer hat eine Praxis, um die er sich kümmern muß, und sein Haus ist meilenweit von dem Ihren entfernt. Unter Umständen wäre er auch mit dem allerbesten Willen außerstande, Ihnen zu helfen.
Nein, Sir Henry, Sie müssen jemanden mitnehmen, dem Sie vertrauen können, einen Mann, der ständig an Ihrer Seite ist.«
»Wäre es möglich, daß Sie selbst mitkommen, Mr. Holmes?«
»Wenn es zu einer gefährlichen Entwicklung kommen sollte, würde ich mich selbstverständlich bemühen, selbst anwesend zu sein. Aber Sie werden sicher verstehen, daß ich in Anbetracht meiner ausgedehnten Praxis als Detektiv und der ständigen Hilferufe, die mich von allen Seiten erreichen, unmöglich für unbestimmte Zeit London verlassen kann. Gerade im Augenblick wird jemand mit sehr geachtetem
Namen von einem Erpresser heimgesucht, und nur ich kann einen fürchterlichen Skandal verhindern. Sie müssen einsehen, daß es für mich im Moment einfach unmöglich ist, Sie nach Dartmoor zu begleiten.«
»Wen würden Sie mir dann empfehlen?«
Holmes legte seine Hand auf meinen Arm.
»Wenn mein Freund dies übernehmen würde, könnten Sie in einer schwierigen Lage keinen besseren
Mann an Ihrer Seite haben. Niemand kann das mit mehr Grund sagen als ich.«
Dieser Vorschlag überraschte mich vollständig, aber bevor ich noch Zeit für eine Antwort gefunden hatte, ergriff Baskerville meine Hand und schüttelte sie herzlich.
»Nun, das finde ich wirklich nett von Ihnen, Dr. Watson«, sagte er. »Sie kennen meine Lage, und Sie haben von der Sache gerade soviel Ahnung wie ich. Wenn Sie mit mir nach Schloß Baskerville kommen und mir dort beistehen, werde ich Ihnen das nie vergessen.«
Die Aussicht auf ein Abenteuer hat immer etwas Faszinierendes für mich. Auch freuten mich die
anerkennenden Worte von Holmes und die spontane Begeisterung, mit der mich der Baronet als Begleiter akzeptierte.
»Mit Vergnügen komme ich mit«, sagte ich. »Ich wüßte nicht, wie ich meine Zeit beser verwenden
könnte.«
»Und Sie werden mir sehr sorgfältig Bericht erstatten«, sagte Holmes. »Wenn Sie sich in einer Notlage befinden oder es zur Krise kommt — und sie wird kommen —, werde ich Ihnen Anweisung geben, wie
Sie sich verhalten sollen. Ich nehme an, daß Sie bis Sonnabend reisefertig sein können?«
»Würde Ihnen das passen, Dr. Watson?«
»Bestens.«
»Dann treffen wir uns also, wenn ich nichts Gegenteiliges von Ihnen höre, am Sonnabend auf dem
Paddington Bahnhof zum Zug um zehn Uhr dreißig.«
Wir waren aufgestanden, um uns zu verabschieden, als Baskerville einen Schrei des Triumphes ausstieß, in eine Zimmerecke stürzte und unter einem Schränkchen einen braunen Stiefel hervorzog.
»Mein vermißter Stiefel!« rief er.
»Ja, wenn doch alle unsere Schwierigkeiten so schnell zu erledigen wären!« sagte Sherlock Holmes.
»Aber das ist doch eine merkwürdige Sache«, bemerkte Dr. Mortimer. »Ich habe dieses Zimmer eben vor dem Essen noch gründlich abgesucht.«
»Ich auch«, sagte Baskerville. »Jeden Winkel.«
»Vorhin ist der Stiefel bestimmt noch nicht dagewesen.«
»In diesem Fall muß ihn der Kellner hereingebracht haben, während wir beim Essen waren.«
Man schickte nach dem deutschen Kellner, aber der beteuerte, er wisse nichts davon. Auch keine weitere Erkundigung konnte die Sache aufklären. Der Reihe ständig aufeinander folgender und scheinbar
sinnloser kleiner Rätsel hatte sich ein neues hinzugesellt.
Auch wenn wir von der ganzen grausigen Geschichte um Sir Charles' Tod einmal absahen, hatten wir innerhalb von zwei Tagen eine ganze Serie von unerklärlichen Vorfällen. Zu ihnen gehörte der Erhalt des anonymen Briefes, der schwarzbärtige Spion in der Droschke, der Verlust des neuen braunen Stiefels, der Verlust des alten schwarzen Stiefels und nun das Wiederfinden des neuen braunen Stiefels. Holmes saß schweigend da, als wir in die Baker Street zurückfuhren, und seine zusammengezogenen Brauen sagten mir ebenso wie seine angespannten Gesichtszüge, daß sein Geist genau wie der meine angestrengt damit beschäftigt war, das Schema herauszufinden, in das diese merkwürdigen und scheinbar
zusammenhanglosen Ereignisse passen könnten. Den ganzen Nachmittag und bis spät in den Abend saß er da, ganz in
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