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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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mein Gesicht und ließ ein munteres Bächlein in das zerbeulte Blechgefäß plätschern. Allmählich kehrten die Lebensgeister zu mir zurück. Da die Zellen an ihrer Vorderfront von der Decke bis zum Boden durchgehend vergittert waren, konnte ich mich mit Holmes problemlos unterhalten. Einmal reichten wir einander sogar die Hände, um uns gegenseitig Mut zuzusprechen. Diese eher weibische Geste wäre eigentlich unnötig gewesen. Trotz unserer misslichen Lage machte ich mir keine sonderlichen Sorgen. Ich war mir sicher, dass alles bald wieder ins rechte Lot kommen würde. Ich hatte schließlich nichts weiter getan, als einem feigen Heckenschützen ins Bein zu schießen.
    Im nächsten Moment legte sich ein leichter Schatten auf mein Gemüt. Ich musste nämlich unverhofft an das Komplott gegen den französischen Hauptmann Dreyfus [ 3 ] denken.Trotzdem er ständig seine Unschuld beteuert hatte, war er auf die äußerst ungemütliche Teufelsinsel deportiert worden, wo geröstete Kakerlaken als Delikatesse galten.
    Zuerst drang noch etwas Licht durch ein Fenster im Gang in mein Kabuff. An den gekalkten Wänden konnte ich vielerlei eingeritzte Inschriften erkennen. Ich machte mir freilich nicht die Mühe, sie zu entziffern. Keine einzige der armen Seelen, die vor mir in diesem düsteren Loch hatten ausharren müssen, konnte mir eine Botschaft hinterlassen haben, die auch nur den geringsten Nutzen für mich bringen würde. Dachte ich jedenfalls.
    Ich legte mich auf mein Bett und starrte stundenlang die Decke an. Irgendwo in der Nähe vernahm ich ein schabendes Geräusch. Vielleicht grub sich ein Mithäftling einen Weg in die Freiheit. Meine Gedanken schlugen Kabolz. Irgendetwas sehr Wichtiges musste ganz dringend erledigt werden. Aber mir fiel nicht ein, was es sein könnte. Immer wenn ich glaubte, endlich den Faden gefunden zu haben, schweifte ich wieder ab und kam vom Hundertsten ins Tausendste. Schließlich gab ich es auf. Aus der Erfahrung wusste ich, dass der Gedankenblitz irgendwann von ganz alleine kommen würde.
    Nach Sonnenuntergang versank das Verlies in völliger Dunkelheit. Ein Licht konnte ich nicht entzünden. Bei der Leibesvisitation am Hauptbahnhof war ich auch der Schachtel mit den Zündhölzern verlustig gegangen. In meinen Taschen steckte nichts mehr. Lediglich ein sauberes Schnupftuch war mir noch als letztes Erinnerungsstück an eine normale Existenz geblieben.
    Ab und zu drangen undefinierbare Geräusche oder leise Stimmen von irgendwo über uns an mein Ohr. Das Kratzen hatte aufgehört. Wahrscheinlich war der Häftling durch denTunnel entflohen. Manchmal hörte ich, wie genagelte Stiefel über Treppenstufen trampelten. Aber bei uns unten in der Gruft ließ sich keine einzige Menschenseele mehr blicken. Auch die Nahrung wurde uns komplett verweigert. Der Schließer hatte die Wahrheit gesagt: Es gab noch nicht einmal einen harten Kanten Brot. Mein Magen knurrte bedenklich. Davon ließ ich mich jedoch nicht beirren. In meiner Studienzeit war bei mir Schmalhans häufig Küchenmeister gewesen. Auch im Feld hatte ich der Not gehorchend eine gewisse Übung darin erlangt, hin und wieder eine Mahlzeit auszulassen.
    Holmes beherrschte die Kunstfertigkeit des Fastens ebenso wie ich, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen: Wenn er früher in seinen aktiven Zeiten als beratender Detektiv auf Verbrecherjagd ging, hatte er manchmal tagelang keine Speisen zu sich genommen. Er tat dies, um seinen Verstand auf der Suche nach der Lösung eines besonders kniffligen Falls zu schärfen. Allerdings gab es momentan keinen Grund dazu. Bislang existierten keine losen Enden, die nur darauf warteten, zusammengeknüpft zu werden. Die gesamte geistige Energie meines Freundes musste also ergebnislos verpuffen.
    Bei mir hingegen herrschte an offenen Fragen kein Mangel. »Woher wusstest du, dass der Kioskbesitzer am Bahnhof ein pensionierter Polizist ist?«, wollte ich von meinem Freund wissen.
    »Allein von seiner äußeren Erscheinung her entsprach er ganz dem Bild eines Schutzmannes im Ruhestand. Seine Reaktionen auf die dramatischen Ereignisse in der Westhalle ließen aber überhaupt keinen Zweifel an seiner früheren Profession aufkommen. Sie lagen nämlich völlig außerhalb der Norm. Jeder normale Ladenschwengel hätte bereits die Contenance verloren, wenn in seinem Laden zwei Fensterscheiben zu Bruch gegangen wären. Doch es kam noch schlimmer:Eine Frau fiel tot zu Boden. Und dann, um das Maß vollzumachen, krochen zwei

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