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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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seltsam gekleidete Reisende auf allen vieren. Ein Zivilist wäre ob dieser geballten Ladung an unerklärlichen Ereignissen in Schreikrämpfe ausgebrochen. Aber unser Freund Carl Ahlersmeyer blieb die Ruhe selbst. Das konnte nur einem Mann gelingen, der in seinem Leben schon alles erlebt hatte – also einem Polizisten.«
    Diese Erklärung leuchtete mir ein. Doch noch eine Frage brannte mir auf der Zunge. »Colonel Moran erwähnte einen Vigilanten, der von ihm in Berlin auf uns angesetzt worden war. Aber weder während der Zugfahrt nach Sachsen noch auf dem Bahnsteig hier in Leipzig ist mir eine verdächtige Person aufgefallen. Auch meine innere Stimme hat konsequent geschwiegen. Du weißt ja, wie das ist. Du brauchst nur jemanden scharf von hinten ansehen, und schon dreht er sich zu dir um.«
    »Nach unserer Abfahrt in Berlin hat es keinen Spitzel mehr gegeben, weder während der Eisenbahnfahrt noch auf dem Perron bei unserer Ankunft in Leipzig. Unser Beschatter ist in Preußen geblieben. Es wäre für ihn zu gefährlich gewesen, uns zu begleiten. Colonel Moran kennt meine unbestrittene Fähigkeit nur zu gut, auch ohne konkreten Anlass ständig die Umwelt zu beobachten und meine Schlüsse daraus zu ziehen. Ich könnte dir beispielsweise auf Anhieb das Aussehen sämtlicher Passagiere beschreiben, die mit uns nach Sachsen gereist sind. Ein fremdes Gesicht, das mir an zwei unterschiedlichen Orten begegnet wäre, hätte sofort mein Misstrauen erregt. Das wusste unser Widersacher nur zu gut. Immerhin ist meine besondere Begabung seinem Herrn und Meister zum Verhängnis geworden. Außerdem war Colonel Moran früher einmal ein Großwildjäger, der in Indien Dutzende Tiger und Löwen erlegt hat. Seitdem ist es ihm inFleisch und Blut übergegangen, seine Beute niemals zu unterschätzen – eine Großkatze ebenso wenig wie uns. Er wollte auf Nummer sicher gehen. Aus diesem Grund hat er sich auch nicht in unsere Nähe begeben. Er blieb weit entfernt in der sicheren Deckung und feuerte mit seiner fast lautlosen Luftbüchse auf uns. Nur seinem schwach gewordenen Augenlicht und unserer Reaktionsschnelligkeit haben wir es zu verdanken, dass wir noch am Leben sind. Bis zum ersten Schuss hatten wir nicht die geringste Ahnung von seiner Anwesenheit.«
    Ich nickte, obwohl mein Freund hinter der Wand diese stumme Geste nicht wahrnehmen konnte. Aber er fasste mein Schweigen gleichermaßen als Zustimmung auf.
    »Was glaubst du«, bohrte ich weiter nach, »könnte Colonel Moran damit gemeint haben, als er davon sprach, du hättest einen Planeten aus seiner Bahn geworfen?«
    »Watson, ich muss dich korrigieren. Er sprach nicht von einem Planeten, sondern er sagte, ich hätte den Fixstern eines leuchtenden Dreiergestirns zum Erlöschen gebracht.«
    »Sei dem, wie ihm wolle. So oder so bleibt es kryptisch. Oder wollte er uns mit der Nase darauf stoßen, dass Professor Moriarty nicht nur ein berüchtigter Verbrecher, sondern auch ein begnadeter Mathematiker und ein bekannter Astronom gewesen ist, der ein Lehrbüchlein verfasst hat, welches – wenn ich mich recht erinnere – den Titel
Die Dynamik eines Asteroiden
trägt?«
    »Irgendein Zusammenhang mag da sicherlich bestehen. Aber das Bild an sich ist nicht stimmig. In der Antike wurden jene Himmelskörper als Fixsterne bezeichnet, die scheinbar unverrückbar am Nachthimmel standen. Doch tatsächlich wissen wir seit James Bradley [ 4 ] , dass sich auch die Fixsterne bewegen. Weil es keine fest fixierten Sterne gibt, ist derBegriff à priori irreführend und deshalb überholt. Die sogenannten Fixsterne zählen inzwischen zu den Gestirnen, wie die anderen hellen Himmelskörper auch, also die Planeten und die Monde. Colonel Moran hat wahrscheinlich ein Gleichnis verwendet. Es könnte bedeuten, dass seiner Meinung nach Professor Moriarty die Sonne war, um die zwei weitere Planeten kreisten. Diese Hypothese würde zu der Tatsache passen, dass Colonel Moran im Rahmen seiner Verbrecherlaufbahn nie auf eigene Kappe gehandelt hat. Er war stets im Auftrag seines Herrn und Meisters unterwegs, um irgendwelche Schurkereien zu begehen. Wir wissen längst, dass Scotland Yard die Bande von Professor Moriarty nicht völlig zerschlagen konnte. Einer Handvoll dieser Verbrecher gelang es unterzutauchen. Möglicherweise werden sie nun von zwei ehemaligen Stellvertretern Moriartys, also ebendiesen ›Planeten‹, angeführt. Es muss sich um einflussreiche Persönlichkeiten handeln, denn immerhin ist es ihnen

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