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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Geräusche, wenn ich den nächsten Schritt tat. Es stank beißend nach Ammoniak. Ich vermutete menschlichen Urin und Pferdeäpfel als Ursache. Es war düster wie in einer Krämerseele. Überdies mangelte es an jeglichem Komfort. Es gab noch nicht einmal Sitzbänke. Der mürrische Polizist mit der Narbe führte eine Eisenkette durch unsere Handschellen, zog sie hoch bis an die Wagendecke und verankerte sie dort an einem Haken. In dieser äußerst unbequemen Haltung, halb an unseren ausgestreckten Armen hängend, wurden wir zum Polizeiamt expediert. Zum Glück war es vom Bahnhof bis zum Naschmarkt nur ein paar hundert Yards weit. Trotzdem wurden wir auf dem holprigen Kopfsteinpflaster heftig durchgeschüttelt. Die scharfkantigen Fesseln schnitten tief in meine Handgelenke ein. Ich verfluchte den herzlosen Erfinder dieser barbarischen Beförderungsmethode.
    Obwohl die grobe Art unserer Behandlung völlig dagegen sprach, hatte ich während der Fahrt doch darauf gehofft, dass sich der bedauerliche Irrtum recht bald aufklären würde. Nichts dergleichen geschah. Nach der Ankunft im Polizeiamt mussten wir lediglich unsere Namen, Anschriften und Professionen nennen. Niemand richtete auch nur eine einzige Frage an uns, die etwas mit den Ereignissen auf dem Hauptbahnhof zu tun gehabt hätte. Ein hagerer Griesgram trug unsere Angaben in ein voluminöses Kontorbuch ein. Er kritzelte im Schneckentempo merkwürdige spitze Buchstaben in einer für mich unleserlichen Kurrentschrift [ 1 ] auf das Papier. Der Mann war hochkonzentriert. Seine zwischen den Lippen hin und her schlängelnde Zunge folgte exakt jeder Bewegung des Federhalters. Alle naselang tauchte der Schreiberling die Stahlspitze in ein Fässchen mit violetter Tinte. Nebenbei verzierteer die Seite mit reichlich Klecksen. Nur zu gerne hätte ich ihm meinen Sheaffer-Füllfederhalter aus Hartgummi unter die Nase gehalten. Dessen Goldfeder mit Iridiumspitze glitt leicht wie ein Elfenflügel über die Blätter, und zwar ohne das Papier vollzuspritzen. Aber leider ging dies nicht. Der Beutel mit den konfiszierten Gegenständen befand sich außerhalb meiner Reichweite.
    Nachdem der Schreibkünstler unsere Personalien erfasst hatte, war die Aufnahmeprozedur beendet. Ich fand es seltsam, dass wir weder fotografiert noch nach dem Bertillon-System [ 2 ] vermessen wurden oder uns jemand die Fingerabdrücke abnehmen wollte.
    Holmes hielt diese Nachlässigkeit wohl für ein gutes Zeichen, denn er sprach den Protokollanten im Befehlston an: »Wie Sie inzwischen wissen, bin ich ein ausländischer Staatsbürger. Ich stehe unter dem Schutz der englischen Krone. Verschaffen Sie mir auf der Stelle eine Telefonverbindung zu Sir Arthur McLeod, dem britischen Botschafter in Berlin!«
    Als Antwort rammte ihm einer der Wachposten seinen Schlagstock aus poliertem Hartholz in die Rippen, sodass mein Freund schmerzerfüllt sein Gesicht verzog. Dann wies uns der Rüpel grinsend den Weg die Treppe hinab ins Kellergeschoss. »Die Küche hat heute leider schon geschlossen. Aber morgen früh kommt der Maître de Cuisine höchstpersönlich vorbei, um sich nach den Wünschen der werten Herrschaften zu erkundigen.«
    Den Rest das Tages und die gesamte Nacht verbrachten wir unten im Verlies in zwei nebeneinanderliegenden Einzelzellen. Der Sinn von diesem Prozedere war klar. Im Polypenjargon wurde das Verfahren »Weichkochen« genannt. Allerdings verfing es nur bei unschuldig Inhaftierten oder bei harmlosen Gelegenheitstätern. Die harten Jungs aus der Ligader Berufsverbrecher waren hingegen an derlei Sperenzien gewöhnt. Bei ihnen gehörte es zum ganz normalen Arbeitsalltag, im Kahn zu sitzen.
    Mein Kerkerraum war spartanisch eingerichtet. Es gab eine fest am Boden verankerte, hölzerne Pritsche, einen übel riechenden Eimer für die Notdurft und eine Art von Viehtränke an der Wand. Sie besaß keinen Wasserhahn, sondern nur einen Hebel zum Hinunterdrücken. Sobald man ihn losließ, sprang er in seine Ausgangslage zurück, und das Wasser hörte auf zu fließen. Die grob verputzten Wände und Decken waren ursprünglich einmal weiß gekalkt gewesen. Der Fußboden bestand aus fest verfugten Granitplatten. Die Sauberkeit ließ zu wünschen übrig. Ich würde mich am nächsten Tag beim Zimmerservice beschweren müssen.
    Glücklicherweise hatte mir der rüde Wachmann die Handschellen abgenommen. Das verschaffte mir etwas Erleichterung. Ich kühlte meine wunden Handgelenke unter dem fließenden Wasser, benetzte

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