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Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Sherlock Holmes und das Phantom der Oper

Titel: Sherlock Holmes und das Phantom der Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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zuckte zusammen, als ich Alkohol auf die betroffenen Stellen rieb, und zündete sich eine Zigarette an. »Manchmal ist eine solch grundlegende Veränderung überaus anregend«, bemerkte er. »Sie wissen zweifellos, daß Tolstoi nach Beendigung von Krieg und Frieden begonnen hat, die altgriechische Sprache zu erlernen.«
    »Altgriechisch scheint mir weitaus sinnvoller als Bienen«, widersprach ich störrisch. Er seufzte.
    »Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Bienen ein idealisierter Mikrokosmos der Menschheit sind«, erwiderte er, während er gleichzeitig mit einer ruckartigen Kopfbewegung Rauch ausstieß. »Hier haben Sie Ihre Arbeiter und Ihre Drohnen, dort Ihre Industriekapitäne und Handelskönige, da drüben Ihre Architekten und Planer und schließlich die Königin selbst, die als wahre Mutter ihrer Nation alles beherrscht. Kein Wunder, daß die überaus fleißigen Mormonen die Bienen zu ihrem Sinnbild erkoren haben«, fügte er hinzu. *
    »Das Ganze erscheint mir jedoch recht wunderlich«, gab ich zurück.
    »Ach, wirklich?«
    »Nun ja, zum einen kann es Ihrer Aufmerksamkeit doch nicht entgangen sein, daß ihre Gesellschaft kein kriminelles Element aufweist.«
    »Ich sprach ja auch von einem idealisierten Mikrokosmos, mein Freund.«
    »Aber zu Zeiten, als Sie noch Ihre Praxis als beratender Detektiv unterhielten, beklagten Sie sich doch regelmäßig über den Mangel an kriminellem Einfallsreichtum – da können Sie doch jetzt nicht behaupten, daß die Betrachtung einer Gesellschaft Sie zufriedenstellt, der dieses Element, das Ihnen einst die größte Anregung war, völlig abgeht?«
    »Das ist ein Punkt, der meiner Aufmerksamkeit tatsächlich entgangen ist«, erwiderte Holmes, lächelte und setzte sich auf. »Und doch denke ich, daß wir durchaus auch aus Utopien das eine oder andere lernen können.«
    Und wie so häufig endete auch diese Unterhaltung damit, daß ich zwar eine Schlacht gewonnen, den Krieg jedoch verloren hatte.
    Ich muß zugeben, daß Holmes’ Bienen im Laufe der Zeit aufs beste gediehen. Er wurde immer weniger gestochen und schließlich überhaupt nicht mehr. Seine Geschicklichkeit im Umgang mit Rauch und Netzen nahm im gleichen Maße zu wie das Vertrauen der Bienen. Nach einer Weile brauchte Sherman sich weder persönlich noch mittels Telegrammen um Holmes’ Fragen zu kümmern. Am Ende verzichtete Holmes sogar gänzlich auf jegliche Netze und bewegte sich vollkommen frei unter seinen Bienenvölkern, ein willkommener, wenn nicht gar geschätzter Gast.
    Meine eigene Skepsis und Verwirrung gerieten beträchtlich ins Wanken, muß ich gestehen, als ich bei einem späteren Besuch, Ende des Jahres 1910, zum ersten Male den Honig kostete, den Holmes aus seinen Bienenkörben gewann. Dieser Honig war so köstlich süß und paßte so wunderbar zu Sauerteigfladen oder süßen Brötchen, daß selbst Mrs. Hudson ihre Einwände gegenüber Holmes’ exzentrischem Hobby zurückzog.
    »Wenn Sie mich fragen, Sir«, sprach sie ihn an jenem Sonntag beim Frühstück an, »Sie könnten sich ein hübsches Einkommen verdienen, wenn wir diesen Honig verkauften.«
    Ich hatte den Eindruck, daß sie eigens meinen Besuch abgewartet hatte, um das Thema anzusprechen, so als rechne sie auf meine Hilfe bei ihrem Plan.
    »Glauben Sie wirklich, Mrs. Hudson?« Holmes, der gerade damit beschäftigt gewesen war, ein wenig Honig auf einer Scheibe gebutterten Toasts zu verteilen, hielt inne.
    »Da besteht kein Zweifel, Sir. Wir könnten uns unsere eigenen Etiketten drucken lassen, und Bill könnte die Krüge nach London bringen – oder in jede andere Stadt, in der Sie Ihr Geschäft betreiben wollten«, ergänzte sie, als sie sah, daß Holmes ihre Anregung mit einem unhörbaren Lachen quittierte. »Nun, es war ja auch nur so eine Idee«, sagte sie in verletztem Ton.
    »Mrs. Hudson, Sie müssen mir vergeben. Ihr Einfall ist ausgezeichnet, und ich werde die Sache sorgfältig erwägen.«
    »Mein Haupteinwand«, vertraute er mir an, nachdem sie den Frühstückstisch abgeräumt hatte, »besteht darin, daß ich mich hier niedergelassen habe in der Absicht, mich zurückzuziehen. Ich würde gern meine kleinen Forschungen weiterführen, vielleicht auch das eine oder andere über die Bienenzucht schreiben, aber ich verspüre nicht den geringsten Wunsch mich als Händler zu betätigen. * Sherlock Holmes’ Spezialhonig klingt nach einem Unternehmen, das ein Großteil der Muße verschlingen würde, deretwegen ich hierhergekommen

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