Sherlock Holmes und die Theatermorde
endlich war aber alles geregelt, und ich flog nach Racine, um das Dokument abzuholen, von dem mehrere Fotokopien angefertigt worden waren.
Es war stellenweise außerordentlich schwer zu lesen und bot Probleme, die von denen seines Vorgängers gänzlich verschieden waren.
Das Wasser hatte enormen Schaden angerichtet. Hier und dort waren Worte, sogar ganze Sätze ausgelöscht und unentzifferbar. Ich war gezwungen, Spezialisten zu Rate zu ziehen (und möchte an dieser Stelle Jim Forrest und den Laboratorien der U.C.L.A. * meinen besonderen Dank aussprechen), die bei der Wiederherstellung fehlender Passagen technische Wunder vollbrachten.
Allerdings war oft alle Mühe umsonst. In solchen Fällen blieb mir nichts anderes übrig, als das Wort oder die Wendung einzusetzen, die mir den Satz oder die Seite zu ergänzen schienen. Ich habe mein Bestes getan, aber ich bin nicht Watson, und so wird der Leser gelegentlich Mißtöne entdecken. Für diese darf nicht der gute Doktor verantwortlich gemacht werden, sondern allein meine Wenigkeit. Ich habe erwogen, im Buch auf diese Passagen hinzuweisen, kam aber zu dem Schluß, daß solche Anmerkungen störend wirken würden. Ich bin sicher, daß die schwersten Verfehlungen ohnehin deutlich erkennbar sind und meine ungeschickte Hand preisgeben werden.
Vom Wasserschaden abgesehen, war das vertrackteste Problem die Datierung des Manuskriptes. Aus der Erzählung selbst geht hervor, daß sie am 1. März 1895 ihren Anfang nimmt. Den Zeitpunkt der Niederschrift festzusetzen, ist jedoch etwas ganz anderes. Es war (jedenfalls für mich) augenscheinlich, daß das Manuskript sehr viel später entstand. Watson spricht nicht nur von jahrelangen Pausen zwischen seinen Versuchen, Holmes’ Zustimmung zu dem Projekt zu erlangen. Er weist auch darauf hin, daß der Tod mehrerer der Hauptfiguren sich zugunsten einer solchen Zustimmung auswirken mußte. Soweit die Namen dieser Personen nicht geändert wurden (und wie Holmes selbst bemerkt, war das praktisch unmöglich), sind die Daten ohne große Schwierigkeiten zu bestimmen. Sie lassen einen relativ späten Zeitpunkt für die Niederschrift, zweifellos nach 1905, vermuten. Die Tatsache allerdings, daß das Manuskript von Watsons eigener Hand stammt, macht ebenso klar, daß er noch nicht von Arthritis verkrüppelt war. Darüber hinaus läßt sich nicht leicht etwas sagen. Ich selbst habe das Gefühl – und es ist nicht mehr als das –, daß die ›Theatermorde‹ irgendwann nach dem Ersten Weltkrieg und vor Holmes’ Tod im Jahre 1929 geschrieben wurden. Unter anderem halte ich ein so spätes Datum deshalb für wahrscheinlich, weil Watson – wie im Fall ›Sigmund Freud‹ (wenn auch nicht so häufig) – fortfährt, Dinge zu beschreiben, die offensichtlich nicht mehr existieren. Daß Watson nach Holmes’ Tod nie versucht hat, das Manuskript wieder an sich zu bringen, legt die Vermutung nahe, daß seine eigenen Leiden ihn ereilt hatten (möglicherweise die ersten Attacken der lähmenden Arthritis, die ihn im letzten Jahrzehnt seines Lebens plagte) – ein weiteres Argument für eine späte Datierung.
Es wird dem Leser nicht entgehen, daß Watson sich auch in diesem Manuskript gelegentlicher ›Amerikanismen‹ bedient, und das bedarf, glaube ich, einer Erklärung. Leser, die der Echtheit von Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud skeptisch gegenüberstehen, begründen ihre Argumente zum Teil auf diesen Amerikanismen, die ihnen ›verräterisch‹ erscheinen. Aber sie lassen zwei entscheidende Fakten außer acht. Erstens tauchen diese Amerikanismen in sämtlichen Berichten Watsons auf; zweitens gibt es dafür einen ganz einfachen Grund. Zwischen 1883 und 1886 arbeitete Watson als Arzt in San Francisco, Kalifornien, um einen Teil der Schulden seines Bruders abzahlen zu können. Wie jeder Kenner der ausgezeichneten Holmes- und Watson-Biographie von W.S. Baring-Gould * weiß, heiratete er dort seine erste Frau, Constance Adams. Um Holmes’ Bemerkung zu Watson in Sein letzter Fall zu zitieren (nachdem er zwei Jahre in Amerika gelebt hatte): »Mein Born englischer Sprache scheint auf immer getrübt zu sein.« Soviel zu den Amerikanismen.
Was die Fußnoten angeht, so habe ich mich auch diesmal bemüht, sie auf ein Minimum zu beschränken; allerdings fanden sich so viele nachweisbare Fakten (die für die Echtheit des Manuskriptes sprechen), daß mir in vielen Fällen ihre Erwähnung unerläßlich erschien.
Abschließend noch eine kurze
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