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Sherlock Holmes und die Theatermorde

Sherlock Holmes und die Theatermorde

Titel: Sherlock Holmes und die Theatermorde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Meyer
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geheimnisvolle Tod einer Schauspielerin im Savoy-Theater beschäftigte dieselben Klatschmäuler wochenlang, und Scotland Yard wurde es recht leid, das sonderbare Verschwinden seines Polizeiarztes zu erklären, der unter Mitnahme zweier Toter aus dem Leichenschauhaus auf Nimmerwiedersehen verschwand. In McCarthys Fall übersah die Polizei denn auch den bizarren Schlüssel zur Lösung, den der Tote hinterließ (oder sie vergaß ihn, weil sie sich keinen Reim darauf machen konnte).
    Wie hätte die Bevölkerung gezittert, wäre die Bedeutung dieses Schlüssels klargeworden! Statt müßig (oder im Fall der Polizei von Berufs wegen) an einer Affäre Interesse zu nehmen, die sie persönlich nichts anging, auch wenn sie voller Sensationen steckte, statt dessen also hätten sie sich – allesamt! – ganz real in ein Verbrechen von solcher Gräßlichkeit verwickelt gesehen, daß es drohte, das neunzehnte Jahrhundert mit einem Schandfleck zu versehen und den Lauf der gesamten Geschichte zu verändern.
    Der Winter 94/95 war fürchterlich gewesen. Soweit die Erinnerung reichte, war London nie so eingeschneit worden; soweit die Erinnerung reichte, hatte niemals ein solcher Wind in den Straßen geheult, hatten sich keine solchen Eiszapfen an Regentraufen und Dachrinnen gebildet wie im Januar 1895. Das Wetter blieb den ganzen Februar über rauh und hielt die Straßenfeger unablässig und bis zur Erschöpfung auf den Beinen.
    Holmes und ich blieben gemütlich zu Hause in der Baker Street. Keine neuen Fälle tauchten aus den Schneewehen auf, was wir mit unverhohlener Erleichterung begrüßten. Ich verbrachte die meiste Zeit damit, meine eigenen Notizen zu ordnen, nachdem ich zunächst einmal Holmes das Versprechen abgenommen hatte, sich chemischer Experimente zu enthalten. Ich wies ihn darauf hin, daß es bei mildem Wetter möglich war, sich dem Gestank, den er mit seinen Reagenzgläsern und Retorten verbreitete, durch Öffnen der Fenster und einem Spaziergang im Freien zu entziehen, daß wir uns aber unweigerlich zu Tode frieren würden, sollte er sich seinem Steckenpferd gerade jetzt hingeben.
    Darüber murrte er nicht wenig, hatte aber ein Einsehen und begnügte sich für eine Weile mit Scheibenschießen, einem seiner bevorzugten Vergnügen. Während ich am Schreibtisch saß und versuchte zu arbeiten, lag er für jeweils eine Stunde auf dem Roßhaarsofa, die Pistole zwischen den Knien, und entlud eine Runde nach der anderen auf die Wand über dem Holztisch, der seine Chemieapparaturen beherbergte.
    Es war ihm gerade gelungen, den Namen Disraeli mit Einschußlöchern zu buchstabieren, als ihm auch dieser Zeitvertreib verweigert wurde. Mrs. Hudson klopfte an unsere Tür und teilte ihm mit unverblümten Worten mit, daß er die Nachbarschaft gefährde. Es gäbe, so sagte sie, Beschwerden von einer kränklichen alten Dame im Haus nebenan, die fürchtete, daß Holmes’ Artillerieübungen sich schädlich auf ihre bereits geschwächte Konstitution auswirken könnten. Außerdem hatten die Einschüsse mehrere große Eiszapfen zu Fall gebracht, bevor diese zu einem harmlosen Umfang hatten schmelzen können. Einer dieser Stalaktiten hatte, so schien es, beinahe den Kopf des Müllmannes durchbohrt der nun unserer Hauswirtin mit einem Gerichtsverfahren drohte.
    »Wirklich, Mr. Holmes, man sollte meinen, ein erwachsener Mann wie Sie würde besser mit seiner Zeit umzugehen wissen!« rief sie mit vor Erregung wogendem Busen. »All die schönen Bücher, die Sie haben und die nur darauf warten, gelesen zu werden. Und da « – sie zeigte auf mehrere verschnürte Pakete – »eine Menge, die Sie noch nicht mal ausgepackt haben.«
    »Schon gut, Mrs. Hudson, Sie haben gewonnen. Ich werde mich in die Lektüre vertiefen.« Er geleitete sie mißmutig hinaus und kehrte mit einem verärgerten Seufzer zurück. Ich war froh, daß wir nicht länger Kokain im Hause hatten, denn in früheren Zeiten hätten solche Frustration und Langeweile ihn sofort Trost in diesem dubiosen Mittel suchen lassen. Statt dessen befolgte Holmes den Rat der Hauswirtin und begann mit einem kleinen Taschenmesser die Schnüre seiner Buchpakete durchzuschneiden und ihren Inhalt zu inspizieren. Er war ein Zwangsbibliophiler und kaufte ständig neue Bände, die er in unsere Wohnung schicken ließ, aber aus Zeitmangel niemals las. Jetzt hockte er sich in ihrer Mitte nieder und fing an, sich die Namen von Werken zu besehen, von denen er vergessen hatte, daß er sie besaß.
    »Oh,

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