Sherlock Holmes und die Theatermorde
Anmerkung zur Echtheitsfrage. Wir haben keine Möglichkeit, solche Dinge zu beweisen. Gesunde Skepsis verlangt sogar, daß wir zweifeln. Die Entdeckung einer verschwundenen Niederschrift Watsons mag wie ein Wunder erscheinen; ein zweiter Fund ist schon ein recht verdächtiger Zufall. Zu meiner Selbstverteidigung erinnere ich daran, daß ich auf die eigentliche Auffindung beider Dokumente keinen Anspruch erheben kann und daß das zweite Manuskript, wie Mrs. Verner bereits feststellte, nicht wirklich verschwunden war.
In dieser Frage der Authentizität muß der Leser für sich selbst entscheiden, und ich bin mir im klaren darüber (und wie!), daß diese Erzählung Kontroversen auslösen wird. Zum Abschluß weise ich alle meine Leser auf jenes liebenswerte Gedicht Vincent Starretts hin, indem er so schön sagt: »Nur was das Herz glaubt, ist wahr.«
Nicholas Meyer
Los Angeles
August 1975
Einführung
»Nein, Watson, meine Antwort bleibt sich leider gleich«, sagte Sherlock Holmes. »Sie sind dabei, die ›Theatermorde‹ niederzuschreiben«, fuhr er fort und lachte leise über mein erstauntes Gesicht. »Machen Sie nicht solch große Augen, mein Lieber. Ihre Gedankengänge waren so einfach zu durchschauen. Ich sah Sie am Schreibtisch, wie Sie sich Ihre Notizen zurechtlegten. Dann kam Ihnen etwas vor Augen, das Sie vergessen hatten; Sie hielten inne, hoben es hoch, studierten es und schüttelten dabei den Kopf mit der ungläubigen Miene, die mir so vertraut ist. Dann wanderte Ihr Blick zu unserer Sammlung von Theaterprogrammen und danach zu meiner kurzen Monographie alter englischer Urkunden. Schließlich warfen Sie einen verstohlenen Blick auf mich, der ich ins Stimmen der Geige vertieft war. Voilà. « Er seufzte und strich zögernd den Bogen über die Saiten des Instruments auf seinen Knien. »Ich fürchte, die Antwort ist nach wie vor Nein.«
»Aber warum?« gab ich energisch zurück, ohne seinen geistigen Taschenspielereien weitere Anerkennung zu zollen. »Sie denken vielleicht, ich würde dem Fall nicht gerecht werden – oder Ihnen selbst?« Diese Bemerkung hatte einen ironischen Beigeschmack, denn seine anfängliche Kritik an meinen Bemühungen, seine Arbeit zu dokumentieren, war sehr scharf gewesen. Sie hatte sich zu etwas weniger als voller Anerkennung gemildert, nachdem ihm mit der Zeit klargeworden war, daß meine Berichte ihm eine nicht unbedeutende Menge willkommener Berühmtheit brachten. Der Gedanke daran schmeichelte seiner nicht unbeträchtlichen Eitelkeit.
»Im Gegenteil. Ich befürchte, daß Sie ihm gerecht werden.«
»Ich kann die Namen ändern«, schlug ich vor, denn mir wurde allmählich klar, wo das Problem lag.
»Eben das können Sie nicht.«
»Es wäre nicht das erste Mal.«
»Aber diesmal geht es nicht. Überlegen Sie doch, Watson! Noch nie haben wir so berühmte Klienten gehabt! Die Öffentlichkeit mag sich über die wahre Identität des Königs von Böhmen * streiten; sie mag sich über den wirklichen Titel des Herzogs von Holderness den Kopf zerbrechen. Aber in diesem Fall wären Zweifel nicht möglich – es gibt keine erfundenen Personen, mit denen Sie die Hauptfiguren in dieser Affäre ersetzen könnten. Um sie ausreichend zu tarnen und Ihre Leser in die Irre zu führen, müßten Sie sich bis zum Hals in Fantasien verstricken.«
Ich gab zu, daß ich dieses Hindernis nicht in Betracht gezogen hatte.
»Außerdem«, fuhr Holmes fort, »müßten Sie auch unser Verhalten in der Sache wiedergeben. Man kann es zwar kaum als unethisch bezeichnen, aber auch nicht gerade als legal. Das Beiseiteschaffen einer Leiche ohne Wissen der Behörden ist eine klare Gesetzesübertretung und könnte in diesem Fall als Unterschlagung von Beweismaterial ausgelegt werden.«
Hier nahm – wie üblich – das Gespräch ein Ende, und ich räumte meine Notizen zu der ganzen unglaublichen Geschichte fort für den Tag, an dem ich – vielleicht in ein bis zwei Jahren – wieder auf sie stoßen und das Thema erneut anschneiden würde.
Holmes zu einer Sinnesänderung zu bewegen, wenn er sich einmal eine Meinung zu eigen gemacht hatte, kam dem Versuch gleich, die Richtung des Erdumlaufs zu ändern. Drehten sich seine Gedanken einmal auf ihrer Bahn, war es praktisch unmöglich, ihren Antrieb zu bremsen oder gar die Achse zu verschieben. Eine Idee setzte sich in seinem Gehirn fest, schlug dort Wurzeln und gedieh wie ein Baum. Dieser ließ sich nicht ausreißen, höchstens fällen – und auch das
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