Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
haben, striktester Geheimhaltung unterliegt. Gentlemen, auf George!«
Das war typisch für Mycroft, der wahrscheinlich am liebsten sogar die Uhrzeit geheim halten würde, wenn man ihn danach fragte.
»Auf George!«, echoten drei Männerstimmen. George hob sein Glas und trank mit.
Natürlich muss ich weiterhin verschweigen, unter welchem Namen er seine musikalische Laufbahn fortsetzte. Ich denke aber, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass er einer der größten Pianisten wurde, die Großbritannien je hatte, und er wäre es sicherlich geblieben, hätte ihn nicht ein allzu früher Tod ereilt. Nein, er wurde nicht von wahnsinnigen Landsleuten getötet, sondern starb wie so mancher Frühvollendeter unerwartet von uns allen auf dem Höhepunkt seines Könnens, erschöpft von seiner rastlosen künstlerischen Arbeit, eines natürlichen Todes. Leider zerbrach irgendwann die Grammophonplatte, die mir George – den ich weiterhin so nennen will – geschenkt hatte. Wenn ich aber an dieses kleine Abenteuer meines Freundes Sherlock Holmes zurückdenken möchte, brauche ich nur die Zeichnung Bentinghams anzuschauen, die ich behalten durfte. Dann erklingt in meinem geistigen Ohr wieder die wunderbare Musik, die Georges begnadete Hände hervorzubringen verstanden.
SHERLOCK HOLMES UND OLD SHATTERHAND
Um mir den kleinen Fall, von dem ich berichten will, wieder ins Gedächtnis zu rufen, muss ich leider meine Aufzeichnungen zur Hand nehmen. Viel lieber würde ich zu meiner Sammlung an Fotografien greifen, doch leider hat mir damals mein Freund Sherlock Holmes in seinem unerforschlichen Ratschluss verboten derartiges anzufertigen.
Wir schrieben das Jahr 1903. Ich hatte im Jahr zuvor gerade begeistert die Fotografie als neues Hobby entdeckt und mir eine handliche Bergheil -Balgenkamera mit einem Voigtländer -Astigmaten aus Deutschland schicken lassen. Für die Entwicklung der unzähligen belichteten Platten, die ich von meinen Streifzügen durch das winterliche London mitbrachte, stellte mir Holmes in seiner unergründlichen Güte seinen von Säure zerfressenen Labortisch zur Verfügung und nahm es sogar gelassen hin, stundenlang in grüblerisches Schweigen gehüllt im Dunkeln sitzen zu müssen und dem Rauch nachzublicken, der in dem roten Licht meiner Laborlampe emporstieg.
Anfang März rief der seltsame Fall des Rabbi von Bacharach 10 meinen Freund auf den Kontinent, nach Deutschland. Vielleicht werde ich eines Tages davon berichten. Er gehört zu den ganz besonderen Fällen in meinen Annalen , meinte Holmes später.
Nach einer stürmischen Überfahrt bestiegen wir in Hoek van Holland einen Zug, der uns rheinaufwärts nach Mainz bringen sollte. Bis Köln war die Reise vergleichsweise eintönig, doch dann öffnete sich das Rheintal, und wir dampften an diesem malerischen, so urdeutschen Strom entlang; leider ohne Halt und viel zu schnell. So nahm ich das Manual meiner Kamera zur Hand, während Holmes sich in einen französischen Roman um zwei Brüder namens Kip vertiefte, den ihm der Verfasser, ein Monsieur Verne, im Jahr zuvor mit einer freundlichen Widmung versehen, geschickt hatte. Als Dankeschön für den kleinen Dienst, den mein Freund ihm einmal erwiesen hatte. 11
Holmes sollte jedoch nicht viel Gelegenheit zum Lesen haben, denn kurz nach der Abfahrt aus Köln gesellte sich ein kleiner aufdringlicher Herr mit Kneifer zu uns. Er stellte sich als Dr. Karl May, Reiseschriftsteller aus Dresden vor, zurzeit auf der Rückreise von Amerika, wo er den Indianerstamm der Apatschen besucht habe, deren Sprache er fließend beherrsche und die ihn Old Shatterhand nannten. Ich hatte nie von jemandem dieses Namens gehört. Er mochte die Sprache der Apatschen beherrschen, sein Englisch jedoch war fürchterlich. In einem fort erzählte er von angeblichen Abenteuern mit einem edlen Wilden namens Winnitou oder so ähnlich und fragte, ob wir mit einem Lord David Lindsay oder einem Lord Castlepool 12 bekannt seien, was wir beide Male verneinen mussten. Weil der Mann eine solche Plage war, ließen wir ihn zunächst über unsere Deutschkenntnisse im Unklaren.
Wir hatten Coblentz noch nicht erreicht, da betrat ein Schaffner unser Abteil. Obwohl wir uns Reeman und Albers nannten, schien er genau zu wissen, wer wir in Wirklichkeit waren. Er salutierte militärisch und sprach uns höflich an: »Mister Sherlock Holmes?«
Mein Freund nickte nur, sich ergeben in das Schicksal nahezu weltweiter Prominenz fügend. Dr. May riss die Augen auf
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