Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
und brachte sein Erstaunen mit dem seltsamen Laut Zounds! zum Ausdruck. Wo er den wohl aufgeschnappt haben mochte?
Der Schaffner druckste herum. »I ... no English!«
»I translate, I translate!«, rief Dr. May ebenso aufgeregt wie grammatisch unbeholfen. »I can Apache, too!«
»Which will be very useful here among all the redskins of Germany!«, spottete Holmes.
Der Schriftsteller schwieg beleidigt. Dann bat mein Freund, die Unterhaltung auf Deutsch fortführen zu dürfen. »Ich bin der Sprache Goethes und Kants einigermaßen mächtig.«
Der Schaffner und Dr. May seufzten – wohl aus verschiedenen Gründen – auf, und so kam nach einigem Hin und Her heraus, dass in einem der vorderen Waggons ein Toter mit einem Neif in der Brust saß. Ob Mr. Holmes als berühmter Detektiv nicht vielleicht ...
»Nichts, was ich lieber täte«, antwortete Holmes mit einem Seitenblick auf May. »Wir sollten uns einmal den Tatort ansehen. Watson, das Spiel beginnt, nehmen Sie Ihre Bergheil mit!«
Ich tat wie mir geheißen und folgte Holmes, der wiederum dem Schaffner folgte. Dr. May wollte uns begleiten, doch weil ich die Abteiltür vor seiner Nase zuzog, blieb er notgedrungen zurück.
»Nach der Abfahrt in Köln war der Mann noch am Leben, da habe ich persönlich seine Fahrkarte kontrolliert«, erklärte der Schaffner. »Eine mitreisende Dame aus dem Ausland hat ihn offenbar gefunden. Ich sah sie aus dem Abteil des Ermordeten kommen. Jetzt wartet sie im Nachbarabteil. Hier ist es schon!«
Der Tote war ein Mann mittleren Alters. Seine Augen standen weit offen. Die Todesursache war eindeutig, denn ein Messer steckte mitten in seiner Brust. Der Mord musste sich vor wenigen Minuten ereignet haben, denn das Blut war noch nicht geronnen. Da ich offensichtlich nichts mehr für ihn tun konnte, ging ich zu der Dame, die ihn gefunden haben wollte. Die Dame, die einen wagenradgroßen Hut mit dunklem Schleier trug, stand keineswegs unter Schock.
»Guten Tag, Frau«, begrüßte ich sie in unbeholfenem Deutsch. »Ich Arzt. Dr. Watson!«
» Bonjour, monsieur le docteur «, erwiderte sie. Gott sei Dank beherrsche ich Französisch besser als Deutsch. 13
Doch dann überschüttete sie mich mit einem wahren Maschinengewehrfeuer aus Worten, von denen ich nur die Hälfte verstand. So viel wurde mir immerhin klar: Der Tote habe ihr bei der Abfahrt angeboten, sich während der Fahrt ihrer anzunehmen, und sie sei dankbar darauf eingegangen. Er habe sich als Weinhändler Eduard von Pauly, Rittmeister der Reserve aus Ingelheim, vorgestellt, und es sei ihr gleich seltsam vorgekommen, wie unvorsichtig er seine prall gefüllte Brieftasche herumgezeigt habe. Er habe in England ein großes Geschäft abgeschlossen, hatte er wohl erzählt, und sei nun auf dem Weg nach Hause. Sie habe sich kurz frisch machen müssen und ihn bei ihrer Rückkehr tot gefunden.
Ich dankte der Dame für ihre Auskünfte, entschuldigte mich und begab mich zu Sherlock Holmes ins Nachbarabteil. Der sprach gerade mit dem Schaffner. »Der Mörder muss noch im Zug sein. Ziehen Sie bitte die Vorhänge zu, verschließen Sie das Abteil und bitten Sie die Fahrgäste in den Speisewagen.«
»Jawoll!« Der Schaffner salutierte und ging.
»So, Watson, um das Verfahren abzukürzen, wollen wir uns eines kleinen Bluffs bedienen.« Er gab mir genaue Instruktionen. Ich sollte eine Rede vor den versammelten Mitreisenden halten.
Wenig später hatten sich die etwa siebzig Passagiere im Speisewagen der 1. Klasse eingefunden. Dr. May mit seinem Pincenez stand wichtigtuerisch vorne, die Dame mit dem riesigen Hut und dem Schleier ganz hinten. Da fiel mir ein, dass sie Ihre Identität bisher noch nicht preisgegeben hatte.
»Geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Sherlock Holmes«, stellte mein Freund sich auf Deutsch vor. »Das ist mein Freund und Kollege Dr. Watson. Der Herr Schaffner ...« Der Angesprochene salutierte wieder. »Der Herr Schaffner hat mich gebeten, den Mordfall zu lösen, der sich in diesem Zug zugetragen hat. Was ich gerne tun werde.«
Zuerst schilderte Sherlock Holmes die Umstände des Mordes. Es müsse sich um einen Raubmord handeln, denn die Brieftasche des Opfers sei restlos ausgeräumt worden. Dann wandte er sich der Mordwaffe zu. »Das Springmesser, mit dem Rittmeister von Pauly aus dem Leben befördert wurde, stammt aus Italien. In die Klinge ist der Wunsch eingraviert: Che la mia ferita sia mortale . Der hier anwesende polyglotte Dr. May wird sicherlich die Bedeutung der
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