Shimmer
waren immer deutlicher zu hören. Die Zahl der Sirenen nahm zu, und wäre Cal an Land gegangen, hätte er vermutlich jede Menge Streifenwagen gesehen, die sich über ganz Miami Beach, die Stadt und das Umland verteilten. Vielleicht würden sie auch in die Jachthäfen kommen. In jedem Fall waren alle Mann auf den Straßen und suchten nach dem Kind des Cops und nach ihm ...
Doch Cal würde nicht an Land gehen, für längere Zeit nicht, vielleicht nie mehr.
Er fuhr nach Norden.
Der Regen wurde immer heftiger, auch wenn der Sturm noch nicht richtig aufgekommen war; dennoch war die Klangkulisse bereits Furcht erregend. Überall zuckten Blitze und grollte der Donner.
Cal lenkte die Baby vorsichtig zwischen den Bojen im dunklen Wasser hindurch, fuhr um Belle Island herum, weiter durch den Kanal und an den Sunset Islands vorbei, wobei er sorgfältig darauf achtete, knapp unterhalb der vorgeschriebenen dreißig Meilen pro Stunde zu bleiben, denn er wollte auf keinen Fall unnötige Aufmerksamkeit erregen.
Vielleicht würde er einfach weiterfahren, immer weiter, bis ihm der Treibstoff ausging.
Vielleicht würde er durch den Haulover Cut aufs Meer fahren, sich hinaus auf den Atlantik treiben lassen und verhungern.
Aber sie würden ihn nicht lassen.
So einfach war das nicht.
Cal fuhr erneut unter dem Julia Tuttle Causeway hindurch, wie er es schon mit Tabby an Bord getan hatte, nur dass die See heute ein wenig unruhiger war. Dann sah er ein Boot, das ihm im Moley Channel entgegenkam. Seine Eingeweide krampften sich vor Furcht zusammen, denn vielleicht kamen sie ihn jetzt holen ...
Doch es war weder die Küstenwache noch die Polizei. Noch nicht. Nur ein altes Fischerboot, dessen Skipper sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte. Kurz darauf fuhr die Baby ungehindert unter der Neunundsiebzigsten hindurch und um Normandy Isle herum. Cal kannte diese Gewässer inzwischen recht gut. Er würde sie vermissen. Wehmütig dachte er daran, wie gerne er hier sorglos herumgeschippert wäre. Er hätte zum Angeln rausfahren oder vielleicht tauchen lernen können. Auf seiner Seekarte hatte er gesehen, dass vor Miami Beach mehrere Schiffswracks auf dem Meeresgrund lagen, sogar eine Boeing 727, die bei einem Tropensturm in zwei Hälften zerbrochen war. Allerdings wusste Cal, dass die meisten Wracks absichtlich hier versenkt worden waren, um künstliche Korallenriffe zu erschaffen, was einen Tauchgang nicht mehr ganz so attraktiv machte.
Konzentrier dich , ermahnte sich Cal, als er unter der letzten Brücke vor Haulover hindurchfuhr. Er drosselte die Geschwindigkeit und hielt sich an die rechte Fahrrinne. Im Kanal war das Wasser noch turbulenter als vergangene Nacht. Die Baby wurde kräftig durchgeschüttelt, hielt sich aber wacker. Cal liebte es, wie aufopfernd das Boot sich um ihn kümmerte; er liebte die Baby , mehr noch, als er je einen Menschen geliebt hatte, selbst Jewel.
Und dann hatte er das Schlimmste hinter sich und war draußen auf dem weiten Meer. Laut sagte er:
»Frei.«
Und dann noch einmal und viel lauter:
»Frei!«
Cal stellte den Motor ab.
Allerdings war er noch nicht bereit, Anker zu werfen.
Hier draußen auf dem offenen Meer, mit der salzigen Luft und dem weiten Himmel über sich, fühlte er sich schon besser. Es gibt also doch keinen Gott, dachte Cal, denn hätte es ihn gegeben, wäre jetzt der perfekte Augenblick gewesen, ihn und die Baby mit einem Blitz in die Hölle zu schicken. Aber vielleicht wartete Gott ja auch nur auf den richtigen Zeitpunkt, und sollte Cal das vorher irgendwie merken, wäre er womöglich sogar dankbar dafür. Doch im Augenblick verdrängten das Meer und der in grellem Licht aufzuckende Himmel erst einmal alles andere, sodass Cal die Vorstellung genießen konnte, er und die Baby wären allein hier draußen und stünden am Anfang einer großen Fahrt. Und er hatte sogar ein wenig Geld. Er hatte gut einhundert Dollar in Jewels Börse gefunden, außerdem ihr Handy. Wenn er also wollte ...
Cal bezweifelte, dass er Verwendung für das Geld haben würde.
Weder im Knast noch in der Hölle konnte man mit Geld etwas anfangen.
Aber Jewels Handy würde er benutzen, eher als sein eigenes.
Sobald er sich stark genug fühlte.
Nun gab es niemanden mehr, der ihm hätte helfen können, niemanden auf der ganzen, verdammten weiten Welt.
Und das war alles ihre Schuld.
Die der Beckets.
Allerdings nicht die des Babys, dieses armen, kleinen Wurms.
Wenigstens glaubte Cal, dass der Junge die
Weitere Kostenlose Bücher