Shining Girls (German Edition)
schiebt sich an der Tür vorbei, den Rücken an die tapezierte Wand gedrückt. Sie hält das Feuerzeug so fest umklammert, dass es wehtut. Sie bemerkt es nicht. Sie zwingt sich, die erste Treppenstufe hinunterzugehen. Noch eine. Gar nicht so anders als bei dem anderen Mal. Und noch eine. Sie zwingt sich, den Mann aus ihrer Wahrnehmung auszublenden, dessen Gehirnmasse auf den Boden am Fuß der Treppe gespritzt ist.
Das Wasser wird wieder abgedreht, als sie halb unten ist. Sie rast zur Eingangstür. Sie will über die Leiche des Polen steigen, aber sie ist zu schnell, um vorsichtig zu sein, und tritt auf seinen Arm. Es fühlt sich grauenvoll an, wie sein Fleisch unter ihrem abrollenden Stiefel nachgibt. Denknichtdenknichtdenknicht.
Sie greift nach der Klinke.
Die Tür geht auf.
Dan
13 . Juni 1993
«Hier drin», sagt der Besitzer des kleinen Lebensmittelladens und führt Dan nach hinten ins Büro. «Sie war in einem unglaublichen Zustand, als ich sie entdeckt habe.»
Durch die Scheibe in der Tür sieht Dan Kirby auf einem hochlehnigen Kunstlederdrehstuhl an einem Sperrholzschreibtisch sitzen, hinter ihr hängt ein Kunstkalender an der Wand; diesen Monat ist ein Monet dran. Oder ein Manet. Dan hat die beiden noch nie auseinanderhalten können. Dieser Eindruck von gutem Geschmack wird von einem Poster an der Wand gegenüber zunichtegemacht, das eine Ducati zeigt, auf der eine Frau sitzt, die ihre Brüste mit den Händen hochdrückt. Kirby wirkt blass und zusammengesunken, als wäre sie eingeschrumpft. Ihre Hand liegt zur Faust geballt auf ihrem Schoß. Sie spricht leise ins Telefon.
«Ich bin froh, dass alles mit dir okay ist, Mom. Nein, bitte komm nicht rüber. Wirklich.»
«Glauben Sie, das kommt in den Abendnachrichten?», fragt der Typ.
«Was?»
«Weil ich mich dann besser rasieren würde. Falls sie mich interviewen wollen.»
«Würde es Ihnen etwas ausmachen?» Wenn der Typ nicht gleich ruhig ist, schlägt Dan ihn zusammen.
«Überhaupt nicht. Ist doch Bürgerpflicht.»
«Er meint, ob es Ihnen etwas ausmachen würde, uns allein zu lassen, bitte», sagt Kirby und legt auf.
«Oh, ach so. Na ja, das hier ist immerhin mein Büro», fährt er auf.
«Und wir sind Ihnen unheimlich dankbar, dass Sie uns erlauben, uns hier ein bisschen zurückzuziehen», sagt Dan und schiebt ihn dabei mehr oder weniger hinaus.
«Weißt du, dass ich ihn sogar darum anbetteln musste, sein Telefon benutzen zu dürfen?» Dieses Mal bricht ihre Stimme.
«Meine Güte, ich hatte echt Angst.» Er küsst sie auf den Kopf, grinst vor Erleichterung.
«Ich auch.» Sie lächelt, aber es ist eigentlich kein Lächeln.
«Die Cops sind jetzt dort.»
«Ich weiß.» Sie nickt kurz. «Ich habe gerade mit Mom gesprochen. Der Arsch ist in ihr Haus eingebrochen.»
«Oh Gott.»
«Hat es total verwüstet.»
«Hat er was gesucht?»
«Mich. Aber ich war mit dir zusammen. Und Rachel hat einen alten Freund besucht. Sie hat es erst mitbekommen, als sie nach Hause gekommen ist und das Chaos vorgefunden hat. Sie will hierherkommen. Sie will wissen, ob sie ihn schon geschnappt haben.»
«Das wollen wir schließlich alle wissen. Sie liebt dich.»
«Darum kann ich mich jetzt nicht kümmern.»
«Du weißt doch, dass du ihn identifizieren musst, oder? Im Polizeirevier. Schaffst du das?»
Sie nickt wieder. Ihre Locken hängen schlaff und dunkel vor Schweiß herunter.
«Steht dir gut», witzelt er und schiebt ihr die Haare aus dem Nacken. «Du solltest öfter Mörder jagen. So ordentlich habe ich deine Haare noch nie gesehen.»
«Damit ist es nicht vorbei. Es kommt ja noch die Gerichtsverhandlung.»
«Klar, dazu musst du hier sein. Aber wir können dem Presserummel ausweichen. Du kannst eine offizielle Stellungnahme abgeben, und dann können wir aus der Stadt weg. Warst du schon mal in Kalifornien?»
«Ja.»
«Stimmt. Hatte ich vergessen.»
«War auch zum Vergessen.»
«Oh Gott, hatte ich Angst.»
«Das hast du schon mal gesagt.» Dieses Mal ist ihr Lächeln echt. Müde, aber echt. Er kann nicht anders. Er kann nicht widerstehen. Er küsst sie. Alles an ihr zieht ihn an. Ihre Lippen sind beinahe unerträglich weich und warm, und sie reagieren auf seine.
Sie küsst ihn auch.
«Uh», sagt der Ladenbesitzer.
Kirby berührt ihren Mund mit dem Handrücken und schaut woanders hin.
«
Por Dios!
Können Sie nicht anklopfen?», brüllt Dan.
«Der, uh, Detective will mit Ihnen reden.» Er schaut beunruhigt von Dan zu Kirby und fragt sich, mit
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