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Shining Girls (German Edition)

Shining Girls (German Edition)

Titel: Shining Girls (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Beukes
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ziemlich sicher, dass er sie nicht sehen kann, weil die kaputten Fenster im ersten Stock nicht in ihrem Blickfeld liegen. Andererseits weiß sie nicht, ob er vielleicht durch einen Spalt zwischen den Sperrholzbrettern späht, mit denen die Erdgeschossfenster vernagelt sind, oder ob er verdammt noch mal auf der Verandatreppe sitzt und auf sie wartet.
    Die simple, schreckliche Wahrheit lautet, dass sie ihn verlieren wird, wenn sie weggeht.
    Shitshitshitshit.
    «Gehst du rein?», fragt jemand an ihrer Schulter.
    «Scheiße!» Sie zuckt zusammen vor lauter Schreck. Die Augen des Obdachlosen stehen leicht vor, sodass er entweder naiv oder unheimlich interessiert wirkt. Bei seinem Lächeln fehlt die Hälfte der Zähne, und er trägt ein verschossenes T-Shirt und trotz der Hitze eine rote Strickmütze.
    «Ich würd nich reingehen, wenn ich du wär. Ich war am Anfang nicht mal sicher, welches Haus es war. Aber ich hab ihn immer weiter beobachtet. Er kommt zu komischen Zeiten raus und ist komisch angezogen. Ich war drin. Von außen würd man es nich denken, aber es ist alles echt spitze eingerichtet. Willst du rein? Dafür brauchst du ’ne Eintrittskarte.» Er hält ein zerknittertes Stück Papier hoch. Es dauert einen Augenblick, bis sie erkennt, dass es ein Geldschein ist. «Ich verkauf dir eine für hundert Dollar. Sonst funktioniert’s nicht. Sonst siehst du’s nicht.»
    Sie ist richtig erleichtert darüber, dass der Typ eindeutig verrückt ist. «Ich geb dir zwanzig, wenn du mir zeigst, wo ich langmuss.»
    Er schwenkt um. «Nee, nee, warte mal. Ich war drin. War nicht gut. Das Haus is verflucht, sag ich dir. Da drin spukt’s. Ist echt höllisch. Da willst du nicht rein. Also gibste mir ’nen Zwanziger für den guten Rat und gehst nicht rein, verstanden?»
    «Ich muss aber.» Gott steh ihr bei.
     
    Alles, was sie in ihrem Portemonnaie zusammenkratzen kann, sind siebzehn Dollar und ein paar Cents. Der obdachlose Typ ist nicht besonders beeindruckt, aber er führt sie trotzdem um das Haus und hilft ihr, sich zu der Holztreppe hochzuziehen, die im Zickzack an der Rückseite nach oben verläuft.
    «Du wirst jedenfalls null Komma null sehen. Nicht ohne Eintrittskarte. Schätze, das heißt, du bist sicher. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.»
    «Sei still, bitte.»
    Sie benutzt Dans Jacke, um über den Stacheldraht zu steigen, der genau deshalb um die untersten Treppenstufen gelegt wurde, damit niemand einbricht. Sorry, Dan, denkt sie, als der Draht den Ärmel aufreißt. Du brauchst sowieso mal neue Klamotten.
    Die Farbe blättert vom Holz ab. Die Treppenstufen sind verrottet. Sie knarren unter jedem ihrer Schritte, als sie sich behutsam zu dem Erdgeschossfenster bewegt, das ihr entgegengähnt wie ein Loch im Kopf. Das Fensterbrett ist mit Glassplittern übersät. Die Scherben sind schmutzig und regenfeucht.
    «Hast du das Fenster eingeschlagen?», flüstert sie zu dem Irren hinunter.
    «Du brauchst mich gar nichts mehr zu fragen», sagt er eingeschnappt. «Is dein Problem, wenn du dort reinwillst.»
    Shit. Im Haus ist es dunkel, aber sie sieht durch das offene Fenster, dass es demoliert ist. Hier drin haben sich die Junkies ausgetobt. Die Bodendielen und Leitungen sind herausgerissen, Wände aufgeklopft und bis auf die Backsteinziegel freigelegt. Die Vorstellung, er würde sich hier drin verstecken, ist absurd. Hier auf sie warten. Sie zögert an dem Fenster. «Kannst du die Polizei rufen?», flüstert sie.
    «Nein, Ma’am.»
    «Falls er mich umbringt.» Das kommt sachlicher heraus, als sie es wollte.
    «Da sind auch so schon tote Leute drin», zischt Mal zurück.
    «Bitte. Sag ihnen die Adresse.»
    «Schon gut, ich mach’s ja!» Er boxt in die Luft. Es sieht aus, als wollte er seinem Versprechen den K.-o.-Schlag verpassen.
    «Aber ich werd hier nicht rumhängen.»
    «Ist klar», murmelt Kirby vor sich hin. Sie schaut sich nicht mehr um. Sie legt Dans Jacke über die Scherben auf dem Fensterbrett. Eine Tasche beult sich aus. Ihr Pony, fällt ihr ein. Sie zieht sich über das Fensterbrett in das Haus.

Kirby
    22 . November 1931
    Die Zeit heilt alle Wunden. Irgendwann gerinnt das Blut. Die Wunden schließen sich.
    Sobald Kirby über den Fensterrahmen geklettert ist, befindet sie sich woanders. Sie glaubt, sie muss verrückt werden.
    Vielleicht ist sie die ganze Zeit gestorben, und alles war ein ausgedehnter Herointrip, das letzte Jubeln ihres Gehirns, während sie in dem Vogelschutzgebiet verblutet und ihr

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