Shining Girls (German Edition)
Dan sieht, dass sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch steht. Ihre Augen blitzen. Ihre Hände zittern. Und allein, dass sie gekommen ist, steigert auch Kirbys Anspannung.
«Setzen Sie sich doch, Mrs. Mazrachi», sagt er und schiebt sie sanft zu einem Stuhl.
«Wie ich sehe, kreisen die Geier schon über uns», giftet sie ihn an. «Komm, Kirby, ich bringe dich nach Hause.»
«Rachel!»
Der Detective presst die Lippen zu einem Strich zusammen. Die nächste Verrückte hat ihm gerade noch gefehlt. «Ma’am, nach Hause zu gehen ist nicht ratsam. Wir wissen nicht, ob er nicht noch einmal zu Ihrem Haus zurückgeht. Sie sollten in einem Hotel übernachten. Und psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen. Das war für Sie beide ein traumatischer Tag. Im Cook County Hospital gibt es einen psychiatrischen Notfalldienst. Rund um die Uhr. Die Ärztin kommt auch zu Ihnen. Rufen Sie diese Nummer an. Sie gehört einer Bekannten von mir. Sie arbeitet häufig mit Opfern von Straftaten.»
«Und was ist mit dem Arsch, der es getan hat?» Kirby tobt.
«Das überlassen Sie uns. Sie kümmern sich um Ihre Mom. Hören Sie auf zu versuchen, diesen Fall selbst zu lösen.» Er runzelt die Stirn, schaut sie aber freundlich an. «Und jetzt rufe ich einen Zeichner, der mit Ihnen ein Phantombild macht und Ihnen ein paar Fotos zeigt, und dann sprechen Sie mit der Ärztin, und anschließend gehen Sie in ein Hotel und nehmen ein paar Schlaftabletten. Und Sie denken heute Abend
nicht mehr
an die ganze Sache. Verstanden?»
«Ja, Sir», sagt Kirby, ohne es im Geringsten ernst zu meinen.
«Gutes Mädchen», sagt Amato erschöpft und ebenfalls, ohne es ernst zu meinen.
«Scheinheiliges Arschloch», sagt Rachel und lässt sich auf den Stuhl fallen. «Für wen zum Teufel hält er sich eigentlich? Der hat ja keine Ahnung von seinem Job.»
«Mom, du kannst nicht hierbleiben. Du bringst mich durcheinander.»
«Ich bin auch durcheinander!»
«Aber du bist nicht diejenige, die sich zusammenreißen muss, um der Polizei vernünftige Angaben zu machen. Das ist wirklich wichtig. Ich muss das hinkriegen. Ich bitte dich. Ich rufe dich an, wenn ich es geschafft habe.»
«Ich kümmere mich um sie, Mrs. Mazrachi», sagt Dan.
Rachel schnaubt. «Sie!»
«Mom. Bitte.»
«Das Day’s Inn ist ganz gut», schaltet sich Dan ein. «Ich habe dort während meiner Scheidung gewohnt. Es ist sauber. Die Preise sind vernünftig. Ich bin sicher, dass Sie einer der Polizisten hinfährt.»
Sie gibt nach. «Also gut. Aber du kommst danach sofort dorthin, ja?»
«Auf jeden Fall, Rachel», sagt Kirby und scheucht sie hinaus. «Bitte, mach dir keine Sorgen. Wir sehen uns später.»
Sobald Rachel draußen ist, ändert sich die Atmosphäre im Raum. Er glaubt zu spüren, wie die Temperatur fällt. Es ist eine andere Art Intensität – eine schreckliche Entschlossenheit. Dan weiß, was jetzt kommt.
«Nein», sagt er.
«Willst du mich davon abhalten?», sagt Kirby so eiskalt, wie er sie noch nie erlebt hat.
«Sei vernünftig. Es wird dunkel. Du hast keine Taschenlampe. Oder eine Waffe.»
«Und?»
«Ich habe beides in meinem Auto.»
Kirby lacht erleichtert und öffnet zum ersten Mal, seit sie aus dem Haus gekommen ist, die Faust. Sie streckt ihm ein schwarzsilbernes Feuerzeug entgegen. Ein Ronson Princess De-Light mit Art-déco-Muster.
«Kopie?»
Sie schüttelt den Kopf.
«Nicht aus der Asservatenkammer.»
Wieder schüttelt sie den Kopf. «Es ist dasselbe. Ich weiß nicht, wie man das erklären kann.»
«Und du hast es den Cops nicht gezeigt.»
«Hätte das irgendeinen Sinn gehabt?
Ich
glaube mir ja selber nicht. Es ist dermaßen beschissen, Dan. Das Haus ist innen keine Ruine. Es ist was anderes. Und ich habe unheimliche Angst, dass wir dorthin gehen und du es nicht siehst.»
Dan umschließt mit seinen Händen ihre Hand, in der das Feuerzeug liegt. «Ich glaube dir, Kleine.»
Kirby und Dan
13 . Juni 1993
Sie sitzt angespannt im Auto. Sie spielt mit dem Feuerzeug. Flick. Flick-flick-flick. Er macht ihr keinen Vorwurf daraus. Die Anspannung ist kaum auszuhalten. Flick. Sie werden auf etwas zugeschleudert, dem sie nicht ausweichen können. Ein Autounfall in Zeitlupe. Und zwar kein einfacher Bagatellschaden. Nein, zehn Wracks, die auf der Autobahn ineinandergerast sind, und überall stehen Rettungshubschrauber und Feuerwehrautos, und am Straßenrand weinen Menschen im Schockzustand. Flick. Flick. Flick.
«Kannst du damit aufhören? Oder wenigstens eine
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