Shining Girls (German Edition)
Hund neben ihr mit einem Draht um die Kehle an einen Baum gebunden ist.
Sie muss sich durch schwere Vorhangfalten schieben, die vorher nicht da waren, und kommt in einen Salon, der zwar altmodisch, aber neu eingerichtet ist. Im Kamin flackert ein Feuer. Eine Whiskeykaraffe steht auf dem Beistelltisch neben dem Samtsessel vor dem Kamin.
Der Mann, dem sie gefolgt ist, hat das Haus schon wieder verlassen. Harper ist zum 9 . September 1980 gegangen, um das Mädchen Kirby vom Parkplatz einer Tankstelle aus zu beobachten. Er nippt an einer Cola, weil er etwas in der Hand haben muss, damit er nicht über die Straße geht, das Kind mit solcher Gewalt am Hals packt, dass er es von den Füßen reißt und ihm direkt vor dem Donutladen immer wieder das Messer in den Körper rammt.
In dem Haus findet Kirby die Treppe nach oben und ein Schlafzimmer, das mit Gegenständen dekoriert ist, die von toten Mädchen stammen, die noch nicht tot sind, oder die ununterbrochen sterben oder die zum Sterben bestimmt sind. Die Gegenstände schillern in ihrem Blickfeld auf und ziehen sich wieder zurück. Drei davon gehören zu ihr. Ein Plastikpony. Ein schwarzsilbernes Feuerzeug. Ein Tennisball, bei dessen Anblick ihre Narben schmerzen und sich ihr der Kopf dreht.
Unten dreht sich ein Schlüssel im Schloss. Sie bekommt Panik. Sie kann nirgends hin. Sie hastet zum Fenster, aber es klemmt. Von Grauen gepackt, steigt sie in den Schrank und kauert sich in eine Ecke, versucht, an nichts zu denken. Versucht, nicht zu schreien.
«Co za wkurwiające gówno!»
Ein Pole, betrunken von seinen Wettgewinnen und richtigem Alkohol, macht sich in der Küche zu schaffen. Er hat den Hausschlüssel in seiner Jacketttasche, aber nicht mehr lange. Hinter ihm öffnet sich die Tür, und Harper hinkt an seiner Krücke vom 23 . März 1989 herein, hat einen zerbissenen Tennisball in der Tasche, und Kirbys Blut auf seiner Jeans ist noch feucht.
Er braucht lange, um Bartek totzuschlagen, und die ganze Zeit hockt Kirby in dem Schrank und hält sich den Mund zu. Sie kann nichts dagegen tun, als ein Wimmern aus ihrer Kehle dringt, und sie versucht es mit der Hand zu dämpfen.
Er stapft mit seiner Krücke die Treppe herauf, zieht das Bein nach, eine Stufe nach der anderen.
Klok-klo
k. Es spielt keine Rolle, dass das hier früher in seiner Vergangenheit geschehen ist, weil es sich in ihre Gegenwart hinüberfaltet, wie Origami.
Er kommt an die Türschwelle, und sie beißt sich so fest auf die Zunge, dass sie blutet. Ihr Mund ist trocken und schmeckt nach Kupfer. Aber dann geht er weiter.
Sie beugt sich vor, lauscht angestrengt. Ein wilder Bär sitzt mit ihr im Schrank. Dann wird ihr klar, dass es ihr eigener Atem ist. Sie hyperventiliert. Sie muss sich beruhigen. Sie muss sich unter Kontrolle bekommen.
Sie hört das unverkennbare Geräusch, mit dem ein Toilettendeckel aufgeklappt wird. Das Plätschern von Pisse. Laufendes Wasser, als er sich die Hände wäscht. Er flucht leise. Das helle Klimpern, mit dem eine Gürtelschnalle auf den Fliesenboden trifft. Er stellt die Dusche an. Die Vorhangringe klappern, als er sie über die Stange zieht.
Das ist sie. Deine einzige Chance, denkt sie. Sie sollte ins Badezimmer gehen, die Krücke nehmen und ihm damit den Schädel einschlagen. Ihn eiskalt fertigmachen. Ihn fesseln. Die Polizei holen. Aber sie weiß – falls er ihr die Krücke nicht aus den Händen windet –, dass sie nicht fähig wäre aufzuhören, bevor er nie wieder aufstehen kann. Die Verbindungen zwischen ihrem Gehirn und ihrem Körper sind versteinert. Ihre Hand will sich nicht heben, um die Schranktür aufzudrücken. Beweg dich, denkt sie.
Das Wasser wird abgedreht. Sie hat ihren Moment verpasst. Er wird aus dem Badezimmer herüberkommen, um sich saubere Kleidung zu holen. Vielleicht, wenn sie auf ihn losläuft. Ihn wegdrängt und rennt. Die Fliesen sind vermutlich nass. Sie könnte eine Chance haben.
Das Zischen der Dusche setzt wieder ein. Es rumort in den Leitungen. Oder er verarscht sie.
Jetzt. Sie muss weg. Jetzt.
Sie schiebt die Schranktür mit dem Fuß auf und kriecht hinaus und über den Boden.
Sie muss irgendetwas mitnehmen. Einen Beweis. Sie schnappt sich das Feuerzeug aus dem Regal. Genau dasselbe. Sie weiß nicht, wie das möglich ist.
Sie schleicht in den Flur. Die Badezimmertür steht offen. Sie hört ihn über das fließende Wasser hinwegpfeifen. Eine schmelzende, fröhliche Melodie. Wenn sie atmen könnte, würde sie schluchzen.
Sie
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