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Shining

Shining

Titel: Shining Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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anhörte, als schrie eine Frau, und das alte Hotel ächzte selbst noch in seinem Schneebett in allen Fugen. Die nächtlichen Temperaturen blieben unter zwölf Grad minus, und, obwohl das Thermometer am Lieferanteneingang der Küche am frühen Nachmittag nur vier Grad minus anzeigte, sorgte der schneidende Wind dafür, dass man kaum ohne Ski-Brille ins Freie gehen konnte. Aber wenn die Sonne schien, gingen sie trotzdem alle nach draußen, wobei sie sich besonders dick anzogen und über ihren Handschuhen Fäustlinge trugen. Nach draußen zu gehen, war fast ein Zwang; um das Hotel herum zog sich die Doppelspur von Dannys Schlitten. Die Zusammenstellungen wechselten ständig; mal saß Danny auf dem Schlitten, und seine Eltern zogen; dann nahm Daddy Platz und lachte, wenn Wendy und, Danny versuchten, ihn zu ziehen (sie schafften es nur auf verharschtem Schnee). Wenn Neuschnee gefallen war, ging es überhaupt nicht; dann wieder setzten Mommy und Danny sich auf den Schlitten; ein anderes Mal ließ Wendy sich ziehen, während ihre Männer sich mühten und wie Zugpferde schnauften und so taten, als sei Wendy viel zu schwer für sie. Bei diesen Ausflügen um das Haus wurde viel gelacht, aber die heulende, unpersönliche Stimme des Windes, hohl und alles übertönend, ließ ihr Gelächter blechern und gezwungen klingen.
    Sie hatten Karibusspuren im Schnee gesehen, und einmal sahen sie die Tiere selbst. Fünf Karibus standen reglos jenseits des Sicherheitszauns. Sie hatten sich an Jacks Zeiss-Ikon-Feldstecher abgewechselt, um sie besser sehen zu können, und sie zu betrachten, hatte Wendy unheimliche und unwirkliche Gefühle eingeflößt: Sie standen bis zum Bauch im Schnee, und ihr wurde klar, dass von nun an bis zum Tauwetter im Frühling die Straße mehr den Karibus als ihnen gehörte. Alles, was der Mensch hier oben erschaffen hatte, war jetzt neutralisiert. Sie war überzeugt, dass auch die Karibus das wussten. Sie hatte das Fernglas zurückgegeben und etwas von Essen zubereiten gesagt, und dann war sie in die Küche gegangen und hatte geweint. Sie musste loswerden, was sich in ihr aufgestaut hatte und sie so bedrängte, als griffe eine große Hand nach ihrem Herzen. Sie dachte an die Karibus. Sie dachte an die Wespen, die Jack unter der Glasschüssel vor den Lieferanteneingang gestellt hatte, damit sie erfrieren sollten.
    An Nägeln hingen im Geräteschuppen eine Menge Schneeschuhe, und Jack fand für jeden von ihnen ein passendes Paar, obwohl Dannys ein wenig zu groß war. Jack konnte mit seinen gut umgehen. Obwohl er seit seiner Kindheit in Berlin, New Hampshire, keine Schneeschuhe mehr unter den Füßen gehabt hatte, lernte er es rasch wieder. Wendy war nicht sonderlich interessiert. Wenn sie auch nur fünfzehn Minuten auf den Dingern herumgelaufen war, taten ihr schon Beine und Knöchel entsetzlich weh. Danny aber hatte viel Spaß daran und gab sich große Mühe, den Trick zu lernen. Er fiel zwar noch oft hin, aber Jack freute sich über seine Fortschritte und meinte, dass Danny bis zum Februar ihnen beiden etwas vormachen würde.
    *
    Schon morgens war es bewölkt gewesen, und mittags spuckte der Himmel wieder Schnee. Das Radio kündigte weitere dreißig Zentimeter an und sang das Hosianna des Schnees, jenes großen Gottes der Skiläufer in Colorado. Wendy, die im Schlafzimmer an einem Schal strickte, wusste genau, was die Skiläufer mit all dem Schnee tun konnten. Sie wusste genau, wo sie ihn sich hinstecken konnten.
    Jack war im Keller. Er war runtergegangen, um die Heizung und die Kesselanlage zu überprüfen – seit sie vom Schnee eingeschlossen waren, hatte er diese Kontrollgänge zu einer Art Ritual erhoben – und nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, hatte er im Keller die Glühbirne festgeschraubt, sich auf einen alten staubigen Feldstuhl gesetzt und die alten Papiere und Dokumente durchgeblättert, wobei er sich ständig mit dem Taschentuch den Mund abwischte. Der fast ständige Aufenthalt in geschlossenen Räumen hatte seine Herbstbräune bleichen lassen, und als er über die vergilbten, knisternden Papiere gebeugt dasaß, das wirre, rötlichblonde Haar in der Stirn, machte er einen leicht verrückten Eindruck. Er hatte zwischen den Rechnungen, Versandpapieren und Quittungen einige merkwürdige Dinge gefunden. Beunruhigende Dinge. Ein blutbeschmiertes Stück Bettlaken. Einen offenbar mit dem Messer zerschlitzten Teddybär. Ein zerknülltes Stück violettes Briefpapier, an dem noch

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